Skylla und Charybdis

Skylla und Charybdis

Wir folgen der sizilianischen Nordküste, um die Straße von Messina, die Heimat von Skylla und Charybdis, zu erreichen. Leider sind nicht alle Tage so sonnig und himmelsblau. Oft genug staunen wir über anhaltenden Regen, Gewitter und heftige Schauer.

Eigentlich wollten wir nur maximal drei Nächte bleiben, aber das faszinierende Palermo hielt uns in seinem Bann. Das ungünstige Wetter, das ein weiteres Vorankommen nach Osten auch nicht beförderte, war zudem eine gute Entschuldigung. So streunten wir jeden Tag aufs Neue durch die Stadt, ließen uns treiben, ließen uns beeindrucken, ließen uns verzaubern.

Da waren all die Palazzi, von denen wir außer dem Königspalast keinen besucht haben, aber deren Fassaden wir bestaunten. Da waren ungezählte Kirchen, die einen für die sakrale Baukunst begeistern können. Wobei die Aussage nicht ganz zutrifft; jemand hat die Kirchen in Palermo gezählt, und demnach sollen es 134 sein. Wir haben nur 3 bzw. 4 besucht. Die Kathedrale, Capella San Cataldo, die mit den drei roten Kuppeln, die Kirche der Heiligen Katharina von Alexandria sowie die Palastkapelle. Und die haben schon gereicht. Bei der Kirche der Heiligen Katharina war die Dame, die die Eintrittskarten verkaufte, schon erschüttert, dass wir nur für das Dach eine Karte wollten, nicht für die Kirche. Aber die Zeit hätte nicht gereicht, und, allein der Aufstieg zum Dach erlaubte derart viele Einblicke in die Kirche, dass der klassische Besuch fast nicht erforderlich war. Aber das war es bei Weitem noch nicht: Das trotz der vergleichsweise geringen Größe aufgrund des reichhaltigen Schmucks und der mit ihm verbundenen Geschichte und Wurzeln für uns spektakulärste Gotteshaus war zweifellos die Kapelle im Palast, die Capella Palatina, was auch nichts anderes heißt als Palastkapelle. Sie zeichnet sich durch eine Fülle atemberaubender Mosaike aus, durch ungewöhnlicher Marmorarbeiten und Dekorationen sowie eine Dachgestaltung, in dem die maurischen Einflüsse unübersehbar sind. Nicht alles, was man sieht, stammt aus der Gründungszeit der Kapelle, dem 12. Jahrhundert, aber doch vieles.

Die Kathedrale ist eines der gewaltigsten Bauwerke Palermos. Bei genauem Hinsehen findet man zahlreiche Belege für eine Verbindung normannischer und maurischer Baustile.
In der Kathedrale wird der Sarkophag des Padre Puglisi aufbewahrt, eines engagierten Gegners der Mafia, der 1993 von Mitgliedern der Cosa Nostra ermordet wurde.
Die als Privatkapelle errichtete Kirche San Cataldo. Nur Anke durfte ihr Inneres bewundern, ich konnte meine Green Card nicht vorlegen, den europäischen Anti-Covid-Impfnachweis, da ich mein Handy nicht dabei hatte.
Beim Aufstieg zum Dach entdecken wir viele erstaunliche Details. Anke in einer Art Alkoven, von dem man für die Besucher des Gotteshauses unsichtbar in das Kirchenschiff der Iglesia Santa Catharina di Alexandria schauen kann.
Letzte Hürde vor dem Dach der Kirche: das Zwischendach. Die Tonziegel bilden das Deckengewölbe, das man – natürlich reich dekoriert – vom Inneren der Kirche aus sehen kann. Offenbar stellen sie jedoch kein zuverlässig wasserfestes Dach dar, was für die Kunstwerke an der Kirchendecke jedoch unabdingbar ist. Daher gibt es darüber das eigentliche, schützende Dach, von dem man hier die untere, aussteifende Balkenlage sieht..
Vom Dach der Kirche der Heiligen Katharina von Alexandria verfolgen wir, wie die Sonne hinter den Bergen Palermos untergeht.
Der absolute Höhepunkt ist für uns der Besuch der Capella Palatina. Derart viel Prunk, Gold, Mosaikkunst und Marmor haben wir in solch konzentrierter Form bisher kaum irgendwo gesehen.
Detail aus einem Mosaik, die Arche Noah – Capella Palatina
Der Königspalast, in dem sich die Capella Palatina verbirgt.
Man sieht, wir haben auch den Königsplast besucht, den Palazzo Reale. Wir waren ja wegen der Kapelle ja eh schon da. Schließlich waren wir ziemlich erschlagen von all den Eindrücken. Hier nur ein Beispiel für Wandmalereien in einem der Räumlichkeiten.

Natürlich gab es auch viel begeisterndes Straßenleben. Da hat Palermo einen ganz spezifischen Charme. Man kann an fast jeder Ecke etwas Leckeres kosten oder, ganz etwas anderes, unerwartet nette Menschen kennenlernen. Oder über Kunst stolpern, und so weiter und so fort.

Natürlich sind uns die Schattenseiten nicht entgangen. Es gibt noch immer viel Armut in der Stadt, und in den abgelegeneren Gassen findet man genügend Zeugnisse des Drogenkonsums, menschliche Exkremente der vermutlich obdachlosen und leidenden Menschen. Palermo und manche der Menschen hier haben noch große Probleme. Aber die Stadt scheint auf einem guten Weg.

Der Besuch im Dom und im NoMafiaMemorial weisen uns deutlich auf eins der großen Probleme Siziliens hin. Im Dom ist Pater Giuseppe „Pino“ Puglisi bestattet. Er war ein sizilianischer Priester und engagierter Gegner der Mafia, der sich in seinen letzten Lebensjahren vor allem der Arbeit für perspektivlose Jugendliche verschrieben hatte. 1993 wurde er an seinem 56. Geburtstag wegen seines Engagements ermordet. Kurz zuvor, im Mai 1993 hatte Papst Johannes Paul II. Sizilien besucht und in einer seiner Predigten die Mafia verurteilt. Pater Puglisi wurde im Jahr 2012 von der katholischen Kirche selig gesprochen und wird in Palermo offenbar sehr verehrt. Im NoMafiaMemorial werden die Wurzeln der Cosa Nostra, der lokalen Variante der Mafia beleuchtet, und bis in die jüngere Geschichte verfolgt. Allerdings fehlte in der Darstellung bzw. Dokumentation der letzte Schritt in die Gegenwart.

Streetfood – eingekehrt bei einer der kleinen Trattorias auf dem Fischmarkt (Mercato del Capo)
Seitengasse in der Nähe des Mercato di Ballaro – hier geht es schon recht bescheiden zu, und dennoch, die angebotenen Gemüse sind durchweg von guter Qualität und wir würden hier bedenkenlos kaufen.
Einer von vielen dunklen, hier erstaunlich beleuchteten Schleichwege, die wir erkunden
Steigerungen sind auch nach unten möglich … aber keine Bange, wir fühlten uns überall sicher, und wir sind auch sicher, dass wir wo immer und wann immer wir uns bewegten, auch tatsächlich sicher waren.

Schön war auch, dass wir in Palermo wieder mit Judith und Geert von der Avalon zusammentrafen und auch viele andere nette Seglerfreunde kennen lernten.

Irgendwann waren die Wetter- und Windverhältnisse dann aber doch günstig, und wir schmissen die Leinen los. Unser Zwischenziel Cefalú ist ein städtebauliches und architektonisches Kleinod, von dem ich Anke und nicht nur ihr seit 2009 ständig vorschwärmte. Ein Städtchen, wie so viele direkt an der Küste, aber mit einer geschlossenen Silhouette im Bereich des alten Kerns. Und einer gewaltigen, über der Stadt trutzenden Kathedrale, die gemeinsam mit einigen der Bauwerke Palermos zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Für uns hatte Cefalú nach verträglichem Beginn vor allem endlose Schauer, Gewitter und übelste Rollerei am Ankerplatz vorgesehen. Mit dem Ergebnis zweier weitgehend schlafloser Nächte. Fluchtartig verließen wir die unschönen Ankergründe in der Morgendämmerung des zweiten Tages und verholten uns nach Capo D´Orlando und von dort nach Milazzo. Das Liegen in den dortigen Marinas war nicht gerade günstig, aber wir freuten uns über ausgedehnten Schlaf unter ruhigen und geschützten Bedingungen. Zu Capo D´Orlando ist anzumerken, dass es dort bei der Marina mehrere Restaurants gibt, darunter ein ausgesprochen fantastisches, eigentlich eine Pizzeria. Sehr kleine Speisekarte. So etwa 5 Vorspeisen, 10 Pizzen, 4 Desserts. Aber alles, aber auch wirklich alles, was aufgetischt wird, erschien uns brilliant, so dass wir hiermit eine Empfehlung für das ganzjährig geöffnete Restaurant Anciova Pizza & Putia aussprechen möchten.

Der alte Hafen von Cefalú nicht viel mehr als ein Strand, auf den man die Boote zog. Die Fassaden der umgebenden Gebäude lassen noch eine Ahnung vom früheren Erscheinungsbild aufkommen.
Wir ankern neben den Piers des „neuen“ Hafens. Wechselnde Winde und hereinstehender Schwell bescheren uns die schlafloseste Nacht, an die wir uns erinnern können.

Zwischen dem italienischen Stiefel und Sizilien gibt es die Meerenge von Messina. Und man scheint sich weitgehend einig, dass sich hinter den antiken Ungeheuern Skylla und Charybdis die heftigen Wirbel und brechenden Seen zu beiden Seiten der Meerenge verbergen. Skylla wird danach auf der Seite des Stiefels verortet und Charybdis auf der sizilischen Seite. Im 17. Jahrhundert hat ein Erdbeben die unterseeische Topographie verändert, so dass wir heute nicht die ursprüngliche Gewalt dieser Erscheinungen kennen lernen können. Was uns durchaus angenehm ist. Dennoch ist die Passage durch die Straße auch in unserer Zeit nicht ganz ohne, wie uns ein Erfahrungsbericht unserer Freunde Ingrid und Peter deutlich machte. So haben wir auch eifrig Informationen gesammelt und verglichen. Mit dem erstaunlichen Befund, dass sich die Strömungsangaben unserer elektronischen Seekarte fast genau entgegengesetzt darstellten zu denen einer italienischen Seite http://www.correntidellostretto.it/

Eine ungeheuer hilfreiche Entdeckung. Wir haben uns schließlich an die Enge herangepirscht – mangels Wind weitgehend unter Maschine (an Regen hat es nicht gemangelt), haben dann noch ein Mittagspäuschen vor Anker eingelegt, da wir meinten, besser noch zu warten, bis der vermeintliche Gegenstrom kentert, und sind dann ziemlich reibungslos durch die Straße durchgerutscht. Mit großem Glück, es gab kaum Gegenstrom, meistens sogar Schiebestrom. Und welche Quelle stimmte nun? Sagen wir mal so, eher die elektronische Seekarte (C-Map-basiert), aber auch nicht so ganz. Sie behauptete noch Gegenstrom, als wir eindeutig keinen mehr hatten, oder sogar schon geschoben wurden. Vielleicht sind wir ja auch nur glücklich in einen Neerstrom geraten. Wer weiß? Erwartet hatten wir einen Neerstrom jedenfalls.

Überraschend kreuzen ein paar italienische Patrouillienschiffe unseren Weg. P 410 Orione, P 404 Vega und P 491 Commandante Borsini, wir kreiseln umeinander herum, es wird ein Signal geschossen (für wen auch immer das galt?) und wir kommen gut miteinander bzw. voneinander klar.
Charybdis Seite. Der Freileitungsgittermast war zusammen mit seinem Gegenpart auf der anderen Seite der Meeresenge lange Zeit der höchste derartige Turm der Welt. Heute ist die Freileitung durch ein unterseeisches Kabel ersetzt, aber die Masten stehen unter Denkmalschutz, auch da sie als landschaftsbildbestimmende Elemente gelten. Was man bei 232 m Höhe kaum in Abrede stellen kann. Diesen Turm hier, kann man sogar besteigen!
Skyllas Seite, wenig später und schon bedeutend freundlicher.

So haben wir Skylla und Charybdis heuer als recht freundliche Zeitgenossen erlebt, dank des regnerischen und diesigen Wetters aber zweitweise nur schemenhaft zu sehen bekommen.   

Nach einem kurzen Spaziergang in das nächtliche, besser spätherbstlich dunkle Messina sind wir in die Bar-Lounge der Marina eingekehrt und stellen erstaunt fest, dass es zu den Cocktails eine Fülle an Knabbereien und „Grüße aus der Küche“ gibt, so dass wir uns für den Preis der Cocktails glatt ein Abendessen sparen können.

Glücklich und zufrieden grüßen Euch

Martin und Anke aus Messina.

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