Ein paar Meilen nordwärts

Ein paar Meilen nordwärts

Wir sind aufgebrochen. Da nicht viele Meilen zum Ziel Grand Anse d’Arlet oder einer der Nachbarbuchten anstehen, ging es erst gegen Mittag los. Der Himmel ist reichlich bedeckt, entspricht also nicht den Karibik-Träumen, eher der zeitweisen Realität. 😊 Der einzeln aus dem Wasser ragende Felsen ist der Diamond Rock. Der ist Schutzgebiet und Brutstätte zahlloser Vögel. Vor langer Zeit haben es die Engländer hinbekommen, ein paar Kanonen oben auf diesen Felsen zu schleppen, um von dort aus französische Schiffe besser mit ihren Kugeln bestreichen zu können. Man kann sich kaum vorstellen, was das bei dem hier herrschenden Klima für eine Tortur gewesen sein muss.

Nach ein paar Tagen bei und in Le Marin war es Zeit für Neues, dachten wir. Vorbei am Diamond Rock ging es um die Ecke gen Norden – nach noch ein paar Stopps in Martinique war die Nachbarinsel Dominica geplant. Etwa auf der Höhe dieses Felsens begegnete uns erstmals ein heftig arbeitendes Wellenfeld mit erstaunlicher Strömung, die uns vorantrieb. Wenig später an einer kleinen Huk dasselbe. Offenbar gibt es hier nicht nur Kapeffekte bei den Luftströmungen sondern ebenso im küstennahen Wasser. Schon recht eindrucksvoll. Wir ankerten in der recht bescheidenen Grand Anse d’Arlet noch vor der weitläufigen Bucht von Fort de France, die eine nette Überraschung für uns bot, wie die folgenden Fotos zeigen.

Der Diamond Rock ist gerundet, vor uns öffnet sich der Blick auf die Westküste Martiniques. Das Wasser ist ausgesprochen kabbelig. Man erkennt es sogar auf diesem Foto. Doch kein Vergleich zu den Bedingungen auf der Rückfahrt.
Die Bucht und das Dorf, das sich Grand Anse d’Arlet entwickelt hat, hat schon Züge eines karibischen Kleinods.
Auch wenn die Menschen erkennbar vom Tourismus leben, alles scheint dörflich direkt. Einheimische beim Würfelspiel. Es ist sonst nichts los.
Das große Highlight dieser Bucht sind die vielen Schildkröten. Man muss nur etwas Ausschau nach Schnorchlern oder Touristenbooten halten, dann weiß man, wo man die Tiere finden kann. Es handelt sich um Grüne Meeresschildkröten (Chelonia mydas), die vor noch gar nicht so langer Zeit auch als Suppenschildkröte bezeichnet wurden.
Mehrmals haben wir das Glück, dass eine Schildkröte uns begleitet oder wir sie begleiten können. Wobei wir unter Wasser naturgemäß nicht lange durchhalten. Die Tiere sind nicht scheu und lassen sich durch uns unfähige Wesen nicht beeindrucken oder gar stören.
Auch wenn dies ein ziemlich dunkles Exemplar ist, es handelt sich bei diesem Tier nach heutigem biologischem Kenntnisstand um die gleiche Art.
Anfangs haben wir die Seesterne gar nicht wahrgenommen, doch es gibt einige davon. Und auch eine Wasserschlange ist uns begegnet, doch die können wir leider nicht zeigen.
Ohne Worte
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man annehmen, die Tourismusbehörde hätte schön gleichmäßig Plastikseesterne auf dem Grund verteilt.
Zum Ende unserer Schnorcheltour begegnet uns noch eine Besonderheit: Eine Schildkröte, die von zwei Schiffshalterfischen begleitet wird. Auf dem Foto ist nur der größere zu sehen.
Irgendwann strengt die Schnorchelei, besonders das wiederholte Abtauchen, doch ziemlich an. Da fehlt dann nur noch die Schlussanstrengung: wieder in das Dinghi klettern.
Abendidyll.

Nachdem ich mir beim morgendlichen Kaffekochen die blanke Brust verbrüht habe, kommt Tantchens Schürze wieder zum Einsatz. Meine (heute) letzte verbliebene Tante hatte mir diese Schürze 2004 in weiser Voraussicht und in Kenntnis der Unzulänglichkeiten ihres Neffen anlässlich der damals bevorstehenden Weltumseglung geschenkt. Das gute Stück hat sich bei rauer See als sehr nützlich erwiesen und die Zeiten überdauert, wie man sieht. Ich möchte mich bei meinem Tantchen also nochmals bedanken und widme ihr dieses Foto. Man kann ahnen, dass ich bei der Aufnahme nicht ganz so glücklich bin, da mir klar ist, dass die Figur, die ich inzwischen in der Schürze abgebe, leider nicht mehr die von vor 21 Jahren ist. ☹

Wir haben die Bucht verlassen. Weiter geht´s bei zunächst frischer Fahrt, …
… begleitet von tropischer Sonne.
Achtung Segler: Was stimmt bei diesem Foto nicht? Die Windgurus hatten zwar Ostwind vorhergesagt, der an der Leeküste Martiniques sehr schwach werden sollte, doch von Westwind war da in keinem Prognosemodell die Rede. Wie dem auch sei, der Wind wehte entgegen der für die Karibik so typischen Richtung. Man kann sich das damit erklären, dass über dem sich tagsüber aufheizenden Land warme Luft in die höheren Atmosphärenschichten transportiert wird. Das führt in den bodennahen Luftschichten zu einer landwärts gerichteten Ausleichsströmung, die dem tatsächlichen Wind entgegensteht. Da dieser durch die Landmasse der Insel blockiert wird, wirkt nur der sogenannte „Seewind“. Wir freuten uns darüber, denn wir konnten uns mit seiner Hilfe so gerade an den letzten Uferfelsen vorbeischummeln und ganz ohne Motorhilfe unser Ziel erreichen.

Weiter ging es nach Saint-Pierre. Dort hatten wir uns eine Boje reserviert. Die Bojen werden online von der Marina Le Marin verwaltet (https://www.saint-pierre.marina-martinique.fr/en/accueil-english/). Wenige Minuten nach Ankunft kam der über Funk verständigte Hafenmeister und wies uns eine Boje zu.

Saint-Pierre erwies sich als nettes Örtchen, sogar überraschend gut im Alltagsangebot – für einen Fahrtensegler nicht ohne Bedeutung – in dem wir uns schließlich fünf Tage aufhielten. Die Weiterfahrt Richtung Dominica mussten wir leider verwerfen. Vor Anker und an der Boje zeigte sich, dass unsere Verbraucherbatterien so langsam aber ziemlich deutlich schwächelten. Von verschiedenen Seglern hatten wir gehört, dass einerseits Le Marin einer der besten Orte in der ganzen Karibik sei, um Bootsarbeiten auszuführen und alles, was das Boot begehrt, zu halbwegs vertretbaren Preisen zu erhalten, andererseits bei solchen Dingen und Arbeiten mit Vorlaufzeiten von bis zu einem halben Jahr zu rechnen sei. Wir beschlossen etwas enttäuscht, besser umzudrehen und erst einmal alles zu organisieren, was mit dem Austausch der acht AGM-Batterien zu veranlassen war. Zumal dies der Anlass sein würde, das Boot auf Lithium-Batterien umzurüsten.

Saint-Pierre. Jeden morgen begrüßen uns die freundlichen Häuschen am Ufer …
… eine immer freundliche junge Dame …
… sowie regelmäßig die Mango frühstückenden Geflügelfamilien. Zu diesem Elternpaar gehören drei muntere Kücken, die allerdings gerade mal wieder ausgebüchst sind.
Das Wetter ist vergleichsweise stabil und erstmalig können wir uns dem Klischee des karibischen Seglerdaseins annähern.
Wir nutzen die Tage für kleine und größere, stets schweißtreibende Wanderungen. Eine führt uns zur Jungfrau, die von einer nahe gelegenen Felsnase über Mago wacht. Auf dem Weg durch den glücklicherweise schattenspendenden, tropischen Busch öffnen sich schöne Aussichten.
Mit Ausblick auf die Bucht schöner wohnen. Ein verstecktes Anwesen, das uns beim Aufstieg zur und Abstieg von der Jungfrau einen kleinen, momentanen Einblick gewährt.
La Vierge de Marins oder die Notre-Dame-du-Bon-Port: die (heilige) Jungfrau der Seefahrer und Unsere Patronin des Guten Hafens. Sie wacht über uns und unseren Liegeplatz an der Boje. Das kann durchaus sinnvoll sein, denn hier war es im Jahre 1902 mehr als ungemütlich, als der nahegelegene Mont Pelée ausbrach und den Ort in Schutt und Asche legte, die Reedelieger versenkte und zahlreiche Menschenleben forderte. Auch die damalige Statue, 1870 errichtet, wurde vom Sockel gefegt. Heute ist sie zugleich Patronin von Martinique, etwas, was sich der erste Bischof der Insel schon 1851 wünschte, als es die Statue noch gar nicht gab.
Die Kirche, die mit der Vierge natürlich eng verbunden ist, präsentiert sich schlicht und einfach.
Anders als in unseren Breiten sind die Fenster nur bedingt farbig verglast. Hier stehen sie meist mehr oder weniger offen und sind dafür ausgelegt, den Kirchenraum zu belüften. Auch wenn die Läden geschlossen sind.
Jeden Morgen kommen ein paar heimische Fischer vorbei, füttern Fische an und werfen dann schlagartig ein langes Netz ins Wasser, mit dem sie einen Kreis von vielleicht 30 bis 50 Metern Durchmesser einhegen. Dann wird es Stück für Stück wieder an Bord geholt. Spannend wird es, wenn das Netz nur noch wenige Meter Durchmesser beschreibt. Da wird der Erfolg sichtbar. Und jedesmal finden sich Nutznießer ein, die auf einen leicht erbeuteten Anteil am Fang aus sind.
Scheuchversuche sind nur beschränkt hilfreich. Wenige Augenblicke später sind die Pelikane wieder da.
Manch geruhsamer Tag endet tatsächlich so …
… oder so.
Überraschenderweise war es gar kein Problem, in Saint-Pierre einen Mietwagen anzumieten und auch gleich mitzunehmen. So finden wir uns schnell inmitten der „Wildnis“ des nördlichen Martinique wieder. Da und dort stoßen wir auf beeindruckende Lianen. Hier eine regelrechte Lianenschaukel. Nur Tarzans Baumwipfelspeedwalk-Lianen waren leider nirgends zu entdecken. Aber der schwang sich ja auch durch den afrikanischen Dschungel.
Immer wieder ein Hingucker: Die Brettwurzeln. In die Ferne schweifend …
… oder auch erkennbar stützend ausgebildet. Dimensionen sind das!

Ziel unserer Wanderung ist die Cascade Couleuvre. Unterwegs begegnen uns schon einige Wanderer in Gegenrichtung, da wir es perfekt hinbekommen, in der Hitze des frühen Nachmittags dorthin aufzusteigen. Schlaue Wanderer nutzen dafür eher die kühleren Morgenstunden. Doch so sind wir halt: Mehr Anstrengung, mehr Arbeit, mehr Kalorienverbrauch sind unsere Ziele. 😊

Herrlich kühles Nass!
Was gibt es Schöneres, als von der Wanderung durchgeschwitzt unter einem frisch-kühlem Wasserfall zu stehen.
Anke kommt auch unter die frische Dusche.
War der Aufstieg noch dem Erreichen des Ziels untergeordnet, bleibt bei Abstieg mehr Zeit für die teils verborgenenen Schönheiten am Wegesrand. Oder die, bei denen man genauer Hinschauen muss.

Unverkennbar, dass wir in einer feuchten Jahreszeit auf Martinique rumstreunen. Wobei die Einheimischen uns schon aufgeklärt haben, dass es um diese Zeit normalerweise eher trocken sei und die Vegetation braun und verdorrt aussehen könne. Dieses Frühjahr sei jedoch untypisch niederschlagsreich in den tendenziell trockeneren Monaten.

Es ist zwar nur eine Vermutung, aber die Evolution hat hier ein feines, kleines Speicherbecken geschaffen. Ebenfalls nicht ganz sicher sind wir bei der Artansprache. Doch wir gehen davon aus, dass wir es bei der angetroffenen Art mit der Karibischen Heliconie (Heliconia caribaea) zu tun haben.
Vor zwei Tagen, da hatten wir das Auto noch nicht gemietet, herrschte an diesem Ort strahlender Sonnenschein. Wir befinden uns unweit eines Parkplatzes, der Ausgangspunkt für Wanderungen um und auf den Mont Pelée ist. Leider erscheint das Wetter heute wenig attraktiv.
Wir laufen nur eine „Stichprobe“ in die vernebelte Botanik, dann kehren wir um zum Parkplatz, denn dort können wir in einem einfachen Imbiß-Restaurant etwas abwarten. Vielleicht wird es ja noch was.
Halbherzig lupft der Mont Pelé hier und da ein wenig das Wolkenröckchen, aber so richtig sexy wird das nicht. Wir lassen uns nicht zu einer Regenwanderung in kalten Höhen verführen und überlegen uns andere Ziele.
Immerhin, wo es vor einer halben Stunde nur Nebel gab, haben wir nun Fernsicht und können sogar das blaue karibische Meer ahnen.
Trotz Nebel und ähnlicher Widrigkeiten, auch am Mont Pelée lohnt es sich, genauer in die umgebende Wildnis zu schauen.
Wir fahren auf die in den Atlantik hinausragende Halbinsel von Tartane und machen eine sehr bescheidene Wanderung zu den am Ufer gelegenen Mangroven, …
… eine Welt, die uns immer wieder aufs Neue fasziniert.
Überall ist Leben, beispielsweise an diese Löcher gebunden. Die dazu gehörenden Krebse sind jedoch schneller weg, als wir gucken können. Immer.
Immerhin haben wir das Glück, dass die Blüten der Mangroven nicht so schnell verschwinden können.
Auf den karibischen Inseln sind wie an vielen anderen Orten der Welt Ratten eingeschleppt worden, die ein immenses Problem für die jeweilige Tierwelt und Ökosysteme darstellen. Überrascht finden wir bei unserem Streifzug Wildkameras, Rattenfallen (darunter auch Lebendfallen) und diese „Selbtschussanlage“. Oben unter dem schwarzen Kappe befindet sich ein Körbchen mit Nahrung. Die Ratte wird angelockt, steckt den Kopf von unten in das Gerät (da wo „goodnature“ drauf steht) und löst dabei einen luftdruckgetriebenen Bolzenschussmechanismus aus. Der Bolzen schlägt auf den Kopf des Tieres, so dass dieses sofort tot ist. Es fällt nach unten raus und das Gerät ist im Prinzip wieder einsatzbereit. Entwickelt wurde es offenbar in Neuseeland, wo man in besonderem Maß und seit ewig unter der Rattenplage leidet.
Dieses Auto gehört Babette, die uns bei unserer Ankunft einen wertvollen Tipp gab, wo wir gut parken könnten. Auf dem Rückweg haben wir dann bei ihr gestoppt und ihr selbstgemachtes Eis, mehr eine Art Sorbet, gekostet.
Karibisch simpel: Eisgenuss an einer Schotterstraße.

Die Rücksegelei war dann nicht ganz so schön. Ein ungünstiger Wind trieb uns so langsam aber stetig von der Küste weg, und nachdem wir die letzte Huk vor dem Diamond Felsen erreicht hatten, kam er exakt von vorn. Ist ja auch logisch: In der Karibik wehen meist östliche Winde und exakt Richtung Ost vom Diamond Rock liegt Le Marin nun mal. Kreuzen schien uns dank der Gegenströmung nicht sehr ergiebig, also musste die Maschine ran, was uns seit dem Vorfall bei Garachico doch immer mit etwas Unruhe erfüllt. Das „uns“ im vorangegangenen Satz ist gleichbedeutend mit Martin. Die Bereiche mit den Strömungskabbeleien waren diesmal besonders ausgeprägt, und was uns vor ein paar Tagen noch unterstützt hatte, stand nun entgegen. Südlich des Felsens kamen wir zeitweise nur mit 3 kn über Grund voran. Aber schließlich sind wir angekommen und gingen erst einmal vor Anker.

Wieder geht´s zum Diamond Rock.
Diesmal allerdings in die andere Richtung. Es kabbelt heftig, Seewasser rinnt über Deck, wir kommen nur mühsam voran.

Schlussendlich sind wir nicht nur wieder in Le Marin angekommen, sondern wir konnten auch einen der begehrten Liegeplätze in der Marina ergattern. Nun widmen wir uns mal wieder den Bootspflichten, nach dem Motto, es gibt schöne Pausen, aber Arbeit muss sein.

In diesem Sinne
Anke und Martin

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Erstaunlicherweise hatten wir auf unserer ersten Reise zwischen 2004 und 2009 so gut wie nie Wasser an Deck, obwohl wir um die Südspitze Südamerikas rum sind. Interesse an dieser Reise? Eine lebhafte Beschreibung findet sich in unserem Buch, das unsere Weltumsegelung von 2004 bis 2009 schildert. Eine Weltumseglung mit einer Aluminium-Reinke Super 11. Neugierig geworden? Informationen zum Buch und wie Ihr die PDF bestellen könnt, erfahrt Ihr unter diesem Link, also einfach auf diesen Satz klicken.

Das Buch unserer Weltumseglung von 2004 bis 2009:
Just do it – von der Weser in die Welt
323 Seiten, durchgehend mit farbigen Fotos bebildert, diverse Karten, hier und da Einschübe zu besonderen Aspekten, die uns beschäftigten und ein Anhang mit gelegentlich launigen Begriffserklärungen.

Vorerst nur als PDF verfügbar.

Das Coverfoto des Buches zeigt Just do it in der Caleta Beaulieu im Beagle-Canal.

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