Auf nach Mindelo – erste Impressionen

Auf nach Mindelo – erste Impressionen

In Mindelo stoßen wir an Wänden des sogenannten Afrikanischen Marktes auf zahlreiche Fliesenbilder, wie wir sie auch in Portugal, teilweise auch in Spanien antrafen. Hier Wäscherinnen und ihre Kinder an irgendeinem Flüsschen. Doch um Eindrücke wie diese zu gewinnen und wertzuschätzen müssen wir erst einmal zur Insel Sao Vicente mit dem Hauptort Mindelo segeln.

Am 11. Januar Punkt 12:00 Uhr holen wir den Anker aus dem Grund. Darüber machen wir uns zunächst keine Gedanken. Erst einige Zeit später fällt uns auf, dass das Setzen und Aufholen unseres Ultra-Ankers mit dem in Las Palmas de Gran Canaria neu einlaminierten Fallrohr problemlos funktioniert. (Beim Bügelanker und dessen Fallrohr haben wir es noch nicht getestet.) Ein doch erfreuliches Ergebnis. Hoffen wir, dass es so bleibt. Um die zu erwartenden Windschatten südlich der großen Inseln Sao Nicolao und Sao Vicente zu vermeiden, und vor allem, um in der Enge zwischen letzterer und Santo Antao nicht gegenan bolzen zu müssen, wählen wir unseren Kurs nördlich aller kapverdischen Inseln. Zumal wir wegen eines Schadens an der Genuarollanlage die Genua möglichst nicht nutzen wollen und daher eine eingeschränkte Segelfläche zur Verfügung haben. 125 Meilen liegen vor uns, mit von uns daher durchaus begrüßtem, etwas kräftigeren Wind nördlich der Inseln. Anfangs allerdings auch verbunden mit gelegentlich recht hoher, von der Seite einfallender See.

Vor dem Start wird Tanja eingewiesen: Wie startet man den Motor? Wo sind die Feuerlöscher? Wo sind die Seeventile? Undsoweiter. Und ihr wird eine Rettungsweste mit Lifebelt angepasst. Wie oft bei diesen Dingern sind die Beingurte etwas Fummelkram. Neuere Westen haben da inzwischen bessere Lösungen.
Da die Bedingungen im Großen und Ganzen erträglich und verträglich sind, geht es in der Praxis zunächst einmal ohne solch ein Geschirr.
Die Berge von Sal verschwinden in Staub und Dunst. Wie immer auf Fotos kommt der tatsächlich herrschende Seegang nicht vor.
Anke und Martin zelebrieren das Mittagsbreitenbier. (Foto: Tanja Kruse)

Auf Tanjas Empfehlung hin bastelt Martin einen Salat. Frische Tomaten, Paprika und Salat waren in Palmeira erhältlich, und Zwiebeln, Knoblauch, Möhre und Co. sind noch reichlich an Bord. Martin beginnt mit der Schnibbelei.

Salatwäsche. Jede Tomate, jede Paprika usw. wird sorgfältig gespült. Den Blattsalat spült Anke. Das ist etwas, was Martin sonderbarerweise nicht gerne macht. Der Haken an der ganzen Angelegenheit: Tanja hatte nicht bedacht, dass Salat am ersten Tag auf See die persönlichen Innereien etwas herausfordern kann. Und Anke und ich haben auch nicht dran gedacht, da wir damit in der Regel keine Probleme haben. Dumm gelaufen. So war Tanjas Abendessen nach ein paar Bissen schon beendet, glücklichwerweise, ohne das sie sich ihr kleines Mahl noch einmal durch den Kopf gehen lassen musste. Besser war´s.

Fand unser Trip nach Sal weitgehend bei Neumond statt, was der Beobachtung des Meeresleuchtens sehr entgegen kam, herrscht diesmal Vollmond. Dessen Strahlkraft ist so immens, dass Tanja nur ein par ganz wenige, extrem hell aufleuchtende Lichtpünktchen im Wasser sehen kann, als der Mond sich mal vorübergehend hinter einer Wolke versteckt. Und sie hatte sich schon so auf Meeresleuchten gefreut.
In der Nacht wurde der Wind dann doch etwas lau, und mit der Fock statt der Genua war die Fahrt schließlich reichlich indiskutabel. So entscheiden Anke und ich gegen Mitternacht, den Gennaker zu setzen. Neben dem Ballooner für den Besan das letzte Segel aus Original-Amel-Zeit, und das einzige Segel an Bord, das noch das Amel-Logo trägt. Der Gennaker bleibt dann auch gesetzt bis kurz vor unserem Ziel.
Einen kleinen Umweg zwingt uns Eems Warrior auf. Es wäre fatal, zwischen dem Schlepper und der angehängten Schute durchzugehen.

Gestern konnten wir vom südlich von uns gelegenen, in etwa 12 Seemeilen Distanz passierten Sao Nicolao rein gar nichts sehen. Heute ist es etwas sichtiger, und so begrüßen uns im Morgenlicht die Konturen der dicht beiananderliegenden Inseln Sao Vicente und Santo Antao. Wieso letzterer ein Santo und kein Sao vorangestellt ist, können wir uns nicht erklären.

Die Lange Anna auf Helgoland ist kein Einzelfall. Auf Sao Vicente gibt es die Longa Ana.

Palmeira ist ein Dorf. Mindelo dagegen ist eine Stadt. Mehr als 76.000 Einwohner, viele Angebote, auch Kunst und Kultur. Nach erster Orientierung wissen wir, es gibt mehrere Gemüsemärkte, jede Menge Gemüseangebote am Straßenrand, den afrikanischen Markt, teils ebenfalls mit Gemüse, teils mit Souvenirs und Klamotten bestückt, verschiedene Supermärkte mit unterschiedlichem Angebot. Etliche Geschäfte mit Haushaltswaren und Haushaltsgeräten wie Waschmaschinen, Herde, Kühlschränke, ja sogar Eiswürfelbereitern*, diverse Ferreterias, Bars und Restaurants. Natürlich Taxifahrer, Aluguers, sogar Linienbusse. Und immer wieder Menschen, die Dir irgendetwas oder eine Dienstleistung anbieten. Oder auch mal betteln.
*) Martin war nicht zu halten, und drei Tage nach unserer Ankunft war ein neuer, funktionsfähiger Eiswürfelbereiter an Bord gewandert.

Und es gibt Kunst, Kultur, viel Musik. Letztere kann nerven, wenn sie noch mitten in der Nacht mit ohrenbetäubender Lautstärke gespielt wird. Doch meistens geht das alles ganz gut, und die gespielten Musikrichtungen sind durchaus interessant bis spannend. Fangen wir an. Kunst und Kultur in Mindelo …

Im Jahr 2019 gestaltete der Portugiese Vhils (Alexandre Farto) das Porträt der in Mindelo geborenen Sängerin Cesária Évora auf einer schmucklosen Putzfassade.
Der Künstler hat dieses Bild geschaffen, in dem er in den Putz des Hauses zahllose „Löcher“ geschlagen und gebohrt hat. Für dieses Werk benötigte er angeblich nur drei Tage, das benutzte Werkzeug war ein Bohrer, besser eine Bohrmaschine.

Cesária Évora ist die bekannteste Sängerin der Kapverden und wird als Königin des Morna betrachtet, einer charakteristischen lokalen Musikrichtung.

So stellt sich das Portrait aus gewisser Entfernung dar. Der Künstler hat es so geschickt gestaltet, dass der Versprung zweier Fassaden unterhalb ihres Mundes kaum auffällt. Wir hatten das Porträt zunächst gar nicht wahrgenommen, da wir ihm stets den Rücken zukehrten.
Auf dem Platz vor dem Gebäude mit Cesárias Portrait finden regelmäßig Veranstaltungen statt, natürlich auch Musikveranstaltungen. Hier werden die Teilnehmer und Zuhörer für ein in vielleicht einer Stunde beginnenden Gesangswettbewerb begrüßt: „Bem Vindos a Feira das Vocações
Erfreut stellen wir fest, dass in Mindelo eine überraschende Bereitschaft besteht, sich auf künstlerische Ausdrucksformen zu kaprizieren. Zumal man als Europäer ja unwillkürlich denkt, Kunst und Kultur bedürfen eines gewissen Wohlstandes. Was natürlich völliger Blödsinn ist. Beides. Die Kapverden haben in kurzer Zeit einen erstaunlichen Wohlstand entwickelt, und Kunst und Kultur sind nicht zwingend auf großen Wohlstand angewiesen. Da kommt es auch auf so etwas wie Haltung oder Einstellung an.
Überhaupt spielt Musik eine große Rolle. Anlässlich des Lokal-Feiertags für die Insel Sao Vicente gibt es ein kleines Blaskonzert für den Bürgermeister von Mindelo, dessen Gäste und wenn ich es richtig verstanden habe, einen Minister. Die Fortsetzung dessen findet als Kammerkonzert im Rathaus statt, wie man von der Straße aus unschwer hören und verfolgen kann.
Wie wichtig Kultur auch den Stadtoberen ist, zeigen die Fliesenbilder auf etlichen Mauern des Afrikanischen Marktes.
Praktisch gegenüber vom Yachtclub befindet sich das CCM. Das Centro Cultural do Mindelo. Nicht immer geöffnet, aber oft. Wenn´s offen ist: Reingehen lohnt sich. Unbedingt. Bei dem Gebäude handelt es sich übrigens um das ehemalige Hauptzollamt.
Wir hatten des CCM kaum betreten, da huschte an Martin eine junge Frau vorbei, zielstrebig in einen der Nebenräume, und wenige Augenblicke später begann sie auf dem dort stehendem Flügel zu spielen und zu singen. Und wirklich gut! Es war eine Freude, sie zu beobachten und ihr zuzuhören.

Es ist recht spannend durch die Räumlichkeiten dieses ehemaligen Zollgebäudes zu streunen. Man stößt auf interessante Objekte und würde gerne wissen, welcher Künstler sie geschaffen hat. Aber leider, nur selten haben wir eine Information gefunden. Bei dieser übermannshohen „Skulptur“ aus Draht und Drahtgeflecht wissen wir rein gar nichts.

Ein recht großer Teil der derzeitigen Ausstellung ist lokaler, naiver Kunst gewidmet. Das finden wir nicht so interessant. Es gibt allerdings auch ein paar Nischen und Nebenräume, da gibt es andere Objekte. Nilson Pericles Fortes Borges hat sich erkennbar den starken Frauen gewidmet…

Nilson Péricles Fortes Borges (Peri), 2021. Titel = nicht angegeben

… Frauen, die ihm recht selbstbewusst bis herrisch entgegen getreten sind. Auf den Kapverden kein Wunder. Die Frauen hier sind beeindruckend selbstbewusst und stolz. Und wenn man ein wenig hinter die Kulissen schaut, wird man feststellen, sie vertreten auf den Inseln häufig das starke Geschlecht.

Nilson Péricles Fortes Borges (Peri), 2022. Titel = nicht angegeben

Da fällt mir jetzt nix zu ein, außer, dass ich das Bild wegen seiner Andersartigkeit gut fand. Nilson Péricles Fortes Borges (Peri), 2023. Titel = nicht angegeben

Wieder ein Raum weiter geht es in besonderem Maß um Botschaften. Beispielsweise um die Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte, diesmal aus dem Portugiesischen übersetzt und mit einem Hinweis auf Kinder: „Alle Menschen sind frei und gleich mit der unveräußerlichen Würde ihrer Freiheit geboren. Alle Kinder sollten unser Verständnis verdienen.“ Es hat reichlich gedauert, bis wir den Namen des Künstlers sicher ermittelt hatten: Paulo Leite. Er wird im CCM in die Sparte der Naiven Malerei eingeordnet, wobei ich in meiner Naivität stets annahm, dass Naive Malerei keine politischen Aussagen trifft. Es ist natürlich klar, welcher Naivling von uns beiden diese Zeilen geschrieben hat. 😉 Paolo Leite, o.J. Titel = nicht angegeben.
Auch in der Ausstellung des CCM finden wir Wäscherinnen. Doch wenn man genauer hinschaut, entstammen diese erkennbar der näheren Gegenwart. Die zu Beginn des Beitrags gezeigten „Fliesenwäscherinnen“ illustrieren eine vielleicht idealisierte Vergangenheit. Ok, ok, ganz so frisch ist das Bild denn doch nicht, es stammt aus 1996. Aber dennoch. Paolo Leite, 1996. Titel = nicht angegeben.
Regelmäßig führen uns unsere Streifzüge über den Afrikanischen Markt. Dort gibt es zwei Stände, an denen Kunsthandwerker kleine Bronzefiguren anbieten. Diese Miniaturen beeindrucken durch eine ausgeprägte Lebendigkeit. Und es dauert nicht lange, da sind zwei in Tanjas Tasche verschwunden.

Spricht für sich.

An der Uferstraße gibt es gegenüber vom Fischmarkt eine unscheinbare, doch äußerlich recht farbenfrohe Künstlerkolonie. In dieses blau gerahmte Tor geht´s rein. Nicht zögern.

Der erste schüchterne Blick in den Innenhof des kleinen Gebäudecarrés lockt uns natürlich hinein. Scheint, dass man hier Entdeckungen machen kann …

Gehört der Einkaufswagen nun zum Gesamtkunstwerk oder eher nicht?

Alles klar, nicht wahr?
Durch eine unscheinbare Tür betreten wir das Studio des Severo Delgado. Das ist der Mann, der so fröhlich vom Beitragstitelfoto strahlt. Er gehört eher zu den renommierteren unter den kapverdischen Künstlern. Seine Bilder bestechen meist durch farbige Leuchtkraft, teils auch mehr oder weniger versteckte, auch politische Botschaften. Seine Portraits charakterisiert eine Intensität der menschlichen Züge und Ausdrucksstärke, wie wir sie bislang nur ganz selten auf Gemälden gesehen haben. Leider darf man – verständlicherweise – nicht fotografieren. Es gibt nur zwei Ausnahmen: Dieses Bild ziert auch die Plakate für die Ausstellung Art Impact im Dezember 2024 und es ist damit öffentlich …
… und das Bild, das Anke spontan erwirbt. Hier bereits von der Wand genommen und von Severos unentgeltlich arbeitender Managerin und Anke präsentiert.
Severo Delgado, 2022. Nueva Generação (Neue Generation). Acryl auf Leinwand. 100 x 80 cm, leichter Ausschnitt.

In jedem Dorf findet sich Severos neue Generation, ein Beispiel aus Palmeira. 😉

Eine Aufnahme seiner Arbeitsstätte ist erlaubt. Hier ein Portrait des Amilcar Cabral, noch unvollendet, das in wenigen Stunden anlässlich eines Nationalfeiertags, dem Tag des Nationalhelden, fertiggestellt sein dürfte. Interessant ist, dass Amilcar Cabral zwar Kapverdianer ist und sein Todestag auf den Inseln gefeiert wird, er jedoch in erster Linie im heutigen Guinea-Bissau für dessen Unabhängigkeit kämpfte. Der Tag des Nationalhelden wird am 20. Januar begangen, dem Todestag des Amilcar Cabral. Wer sich für sein Wirken und Leben interessiert, der muss einfach mal bei Wikipedia und Co. reinschauen.
Eine kleine Ausstellung bei der angeblichen Replik des Torre de Belem widmet sich dem Umweltschutz. Ausgestellt sind Bilder, die zum Teil oder vollständig aus Müll gestaltet wurden. João José dos Santos, o.J., ohne Titel. 1. Preis beim Concurso Escolas Amigas do Ambiente. Eines der wenigen Bilder, bei dem ich, Martin, beim Aufnehmen mal über dessen Grenzen hinausgepeilt habe.

Mestre Baptista. , o.J., ohne Titel. 3. Preis beim Concurso Escolas Amigas do Ambiente. Leicht beschnitten.

Hier waren wir, in der angeblichen Replik des Torre de Belem in Lissabon. Um Missverständnisse zu vermeiden, gemeint ist der Turm hinten im Bild. Und wir wollen jetzt zwar nicht ketzerisch sein, aber wir können nicht anders als festzustellen: Das Original am Tejo ist doch ein etwas anderes Kaliber.

Keinesfalls ist mit diesem kleinen Abriss ein erschöpfender Überblick geschaffen. Wäre ja auch paradox. Gibt uns aber den Anlass als heutigen guten Wunsch zu sagen,

schaut mal wieder in eine Kunstausstellung oder so …
Martin und Anke

Irgendwann am Anfang unserer alten Reise, der Reise mit Just do it, wurden wir gefragt, was uns denn zu dieser Reise motiviere. Und nach einigem Nachdenken habe ich, Martin, wohl geantwortet, die Neugier auf andere Menschen, Begegnungen, fremde Kulturen, fremde Genüsse und so weiter und so ähnlich. Wer es genauer wissen will, der kann einfach in unserer PDF-Buchveröffentlichung nachlesen: Informationen zum Buch und wie Ihr die PDF bestellen könnt, erfahrt Ihr unter diesem Link, also einfach auf diesen Satz klicken.

Das Buch unserer Weltumseglung von 2004 bis 2009:
Just do it – von der Weser in die Welt
323 Seiten, durchgehend mit farbigen Fotos bebildert, diverse Karten, hier und da Einschübe zu besonderen Aspekten, die uns beschäftigten und ein Anhang mit gelegentlich launigen Begriffserklärungen.

Vorerst nur als PDF verfügbar.

Das Coverfoto des Buches zeigt Just do it in der Caleta Beaulieu im Beagle-Canal.

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