Professionals im 18. Jh.
Was ist das? Blick zwischen Fock und Fockmarssegel hindurch auf einen Bugspriet mit Rah für die Blinde, Spriet-Krähennest und Sprietmast. Durften wir eine Zeitreise erleben? Eine der größten Überraschungen bei der Ankunft in La Rochelle war die Shtandart. Eine russische Fregatte aus dem frühen 18. Jahrhundert mit der Zar Peter der Große eine Ostseeflotte begründete. Zugegeben, die heutige Shtandart ist eine Interpretation des Originals von 1703, aber wirklich vom Feinsten. Jeden Morgen auf dem Weg zum Bäcker, grüßen die gelben Flanken mit den umkränzten Stückpforten, die Heckverzierungen und die sportlich windschnittigen Hecklaternen. Und auch der Widerschein des Sonnenlichts in den mehr oder weniger kompakt aufgetuchten Segeln. Genau genommen liegt sie gleich um die Ecke und ist ununterbrochen präsent.
Nun haben wir Corona-Zeiten, sind in Frankreich und das Schiff wird – alles andere wäre ja auch absurd – russisch kommandiert. So ergab sich eine Möglichkeit für einen kleinen Sunset-Törn an Bord dieses maritimen Kleinods, ungeachtet von Ausgangssperre und anderer Misslichkeiten. Um 17:00 hatten sich neben der international gemischten Stammcrew sowie ein paar helfender Hände auch noch an die dreißig Voll- und Trainee-Professionals eines jeden Alters an Bord eingefunden. Klar, dass wir mit unserer Vorgeschichte und Qualifikation sogleich als Voll-Professionals angenommen wurden, zumal wir auch noch 49,- Euro pro Nase berappten, was wir allerdings auch sehr gerne taten.
Es folgte ein wunderbarer Kurztripp raus auf die Biskaya (na gut, so ein ganz klein bisschen), bei dem alles passte. Nette Crew, nette Mitprofessionals (mit erstaunlichen multilingualen Kompetenzen), hinreichender Wind, und selbst das Wetter mit Wolken und Sonne zeigte sich kooperativ. Es wurden nach Passage der hafensperrenden Brücke Fock, Fockmars-Segel, Besan-Mars und Besan gesetzt und die beiden heimlich im Rumpf versteckten Maschinen verstummten. Was will man mehr. Martin handelte sich natürlich als erstes einen Anschiss des Käptens ein, wegen leichtsinnigen Aufenthalts auf, statt hinter der Reling des Poopdecks (aber wegen der fotografischen Perspektive muss man doch …), kam daraufhin aber auch gleich mit demselben in ein tieferes Gespräch. Wegen unterstellter völliger Aussichtslosigkeit unternahm er entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten auch gar keinen Versuch, seinen Herzenswunsch zu äußern, einmal auf die Masten aufzuentern.
So hätte Martin beinahe verpasst, dass irgendwann tatsächlich Harnesse ausgegeben wurden für die, die in die Masten entern wollten. Glücklicherweise hat Anke mal wieder auf ihn aufgepasst und ihn rechtzeitig an die richtige Position geschubst. Mithilfe eines irischen Crewmitglieds bekam er dann quasi als Nachrücker auch noch einen Harness und hatte die Gelegenheit, auf das Krähennest zu klettern. Auf halber Strecke bekam sein Harness bereits Wohnungsnot, was vom Deck aus aussah, als hätte er die Hosen voll. Beim Abstieg hat Martin sich dann des guten Stücks wegen arglistiger Behinderung gleich ganz entledigt. Der Knaller war allerdings der Mittelteil hoch oben im Krähennest. Dort war es beeindruckend schön, zumal Martin gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang aufgeentert war. Er kostete die Zeit auch reichlich aus. Fast als Erster aufgeentert und klar Letzter beim Abstieg. Anke hat sich ihrerseits mit den Umständen und Besonderheiten des Deckslebens vertraut gemacht (Riggaufenthalte sind für sie ja ein alter Hut) und eifrig gefilmt. Außerdem hat sie natürlich an Leinen gezuppelt, eine ihrer Leidenschaften, zumal wir ja als Professionals auch aktive Aufgaben zu erledigen hatten.
Ach ja, wieso wir Professionals wurden? Das kam so: Mit einem Start um 17:00 Uhr, Schleusung um ca. 17:30 Uhr, war natürlich klar, dass jeder der ca. 30 Teilnehmer gegen die bußgeldbewehrte Ausgangssperre verstoßen würde. Was auch durchaus geahndet wird, wie wir wissen. So werden die Teilnehmer an dieser und vergleichbarer kleinen Ausfahrten in geringfügig erweiterter Interpretation der Bestimmungen zu Professionals, und schon ist es möglich, wegen der Rückkehr von einer professionellen Tätigkeit, auch nach der Ausgangssperre unterwegs zu sein. (Natürlich nur auf dem Weg nach Haus.) Das wird übrigens auch auf einer beeindruckenden Urkunde dokumentiert.
Was soll ich sagen, wir haben es wahrlich genossen. Und waren nach Gesprächen mit Crew und Kapitän mal wieder die Allerletzten, die von Bord gingen.
In diesem Sinne Nastrowje und stets fair winds!