Von Madeira nach La Graciosa

Von Madeira nach La Graciosa

An einem der letzten Tage mit Auto musste natürlich noch eine kleine Rundtour folgen. Unbedingt wollten wir den Wasserfall besuchen, der sich auf eine Straße ergießt. Letztere sollte gesperrt sein, daher hatten wir sie bei einer unserer ersten Touren nicht befahren. Doch mittlerweile wussten wir, dass die „Sperrung“ wohl nur symbolischer Natur war, vermutlich aus versicherungstechnischen Gründen. Also, nichts wie hin. Von dort aus ging es noch einmal ins Inselinnere zum „Tal der Nonnen“ und anschließend über steilste Straßen fast wieder hinauf bis zum Pico Arieiro.

Unser letzter Ausflug mit dem Mietwagen. Martin steuert den kleinen Panda durch den Wasserfall „Cascata dos Anjos“, der sich auf die Straße ergießt. Man fragt sich, ob die Straße von vornherein so gebaut worden ist, oder ob es oberhalb der Straße kleine Veränderungen gegeben hat, die den Wasserfall an dieser Stelle initiert haben.
Und so stellt sich die Durchfahrt durch die Cascata vom Steuer aus dar. Wie man sieht, handelt es sich um eine bei der Hitze willkommene touristische Attraktion.
Ein letztes Mal genießen wir die Vielfalt Madeiras, diesmal suchen wir besonders die Wälder auf, …
… genießen noch einmal die spektakuläre Landschaft …

… und die freundlichen und liebenswerten Menschen.

Danach beschränkten wir uns auf den Dunstkreis der Marina. Erholten uns ein wenig, widmeten uns den üblichen Bootsarbeiten, Mago wurde mal wieder vom allgegenwärtigen Staub befreit, und genossen die Gemeinschaft der Segler. Anke machte mit Rolfs Hilfe nach dem Abschieds-Pizzaessen in der Marina-Bar noch einen letzten, spätabendlichen Last-Minute-Einkauf – Mariä Himmelfahrt folgte am nächsten Tag und damit waren die Supermärkte geschlossen. Da wir am Tag nach Mariä Himmelfahrt starten wollten, wär das dann doch unschön gewesen. So waren wir noch rechtzeitig und frisch proviantiert.

Auch das gehört zu den alltäglichen „boat-people“-Arbeiten. Nachdem unübersehbar war, dass Anke mir die Haare geschnitten hatte, gab es auch Nachfragen von Nachbarbooten. Hier Ruth in der Mache. Seltsam und geradezu diskriminierend ist allerdings, dass unsereiner dagegen seine Künste an Häuptern des weiblichen Geschlechts nicht demonstrieren darf. Das ist doch reichlich unzeitgemäß, oder? Gelle.

Am Donnerstag, dem 16. August, ziemlich genau um 09:00 Ortszeit tuckern wir durch die Hafeneinfahrt. Thomas und Christine haben unsere Leinen losgeschmissen. Eine schöne Zeit geht zu Ende. Draußen müssen wir rund 40 Minuten motoren, doch dann ziehen die Segel in einer angenehmen Brise. Wir gehen recht dicht an die Ilhas Desertas heran, da sieht man mehr von ihnen – und vielleicht zeigt sich ja ein Wal oder Delphin (leider nein). Die Inselnähe bringt vorübergehend recht unstete und böige Windeverhältnisse. Doch irgendwann sind die Inseln passiert, und damit beginnt der Wind kräftig und konstant zu ziehen. Sonderbarerweise viel vorlicher als erwartet.

Das Abendessen fällt spärlich aus. Die Seebeine müssen erst wieder wachsen. Eine gräßliche, in den Vorräten bislang unangetastet verbliebene Möhreneintopfdose eines bekannten deutschen Herstellers muss der Einfachheit halber dran glauben. Etwas Gutes hat´s: Gut, dass sie weg ist.

Die Ilhas Desertas liegen achteraus.
Sturmvögel sind unsere steten Begleiter. Nach Auswertung der vielen, meist unscharfen Fotos sind wir zum Schluss gekommen, dass es sich um einen Gelbschnabel-Sturmtaucher (Calonectris diomedea) handelt, auf Englisch Cory’s Shearwater. Das passt ganz gut, denn in der Marina haben wir in der frühen Nacht fast täglich die sehr ungewöhnlichen, aber typischen Laute dieser Vögel gehört, was ihnen auch den Spitznamen „Micky-Maus-Vögel“ eingebracht hat.
Ein malerischer Sonnenuntergang leitet die Nacht ein, die leider nicht so viel Schlaf wie gewünscht bringt.

In der Nacht begleitet uns kräftiges Meeresleuchten, ein wogender, hellblauer Schimmer mit vielen aufblitzenden Lichtpunkten. Am Himmel leuchten ungezählte Sterne, die Milchstraße verläuft quer über das Boot, und es herrscht Neumond. Anke hat die Lotsenkoje freigeräumt, wir wollen den vermutlich ruhigsten Ort an Bord erstmals ausprobieren. Es mag unglaubwürdig erscheinen, aber wir haben die Lotsenkoje auf See tatsächlich bisher sehr selten genutzt. Die erste Wache übernimmt Anke. Ich finde in meiner Freiwache kaum Schlaf, der lädierte Rücken macht sich bemerkbar. Anke kommt besser mit ihrer anschließenden ersten Freiwache klar. Meine zweite Freiwache beginne ich wie gewohnt in der Vorschiffskabine, aber dort ist es diesmal viel zu unruhig: schnelles Vorankommen – an sich erfreulich – heißt bei etwas grober See meist auch unangenehmes Vorankommen.

Der nächste Morgen: Auf dem Seitendeck findet Martin einen fliegenden Fisch. Leider ist es schon zu spät für ihn. Er scheint in der Nacht an Bord gelangt zu sein und hat sein Leben ausgehaucht. Wenn es mehrere gewesen wären, hätte man sie zum Frühstück braten können. Wie auch immer, Martin lacht schon wieder. Seine üble Stimmung am frühen Morgen hat sich gegeben.

Am Morgen geht es Martin ausgesprochen schlecht. Der Rücken schmerzt heftig, die Psyche ist angeknackst, heftige Migräne kommt dazu und es droht, dass ihm auch noch schlecht wird. Etwas essen, Kaffee trinken und dann, sobald Anke aus ihrer Freiwache erwacht, nochmals hinlegen hilft. Im Lauf des Tages wird es besser. Erinnerungen an 2004 kommen hoch, und Vorfreude. Auf 13 Seemeilen können wir vage Konturen erkennen. In der Luft steht ein sandiger Dunst – Calima!

Im Laufe des Tages wird es dunstiger, und der Dunst ist von feinem Staub durchdrungen. Eine solche Erscheinung hatten wir in den ersten Januartagen 2005 bei unserer Ankunft auf den Kapverden kennengelernt. Dort nannte man sie bruma secca, „trockener Nebel“. Hier heißt die Erscheinung Calima. In beiden Fällen handelt es sich um das gleiche Phänomen: feiner Saharastaub, der weit auf den Atlantik hinaus verdriftet wird.
Im sandbraunen Dunst haben wir erste Konturen ausgemacht. Gespannt beobachten wir, wie sich das Bild mit jeder Minute weiter klärt. Ich hatte nicht geglaubt, dass wir im Hellen ankommen, Anke dagegen schon. Bei dieser Gelegenheit soll erwähnt sein, dass das Beitragstitelfoto das einzige „Schiff“ zeigt, das uns auf der Strecke Madeira – La Graciosa begegnet ist.

Etwa eine Meile vor dem Ziel müssen wir eindrehen und der Wind kommt voll auf die Nase. Da sind keine Umstände mehr nötig. Segel weg, Motor an. In der Bucht Playa Francesa liegen die bereits gestern in Quinta do Lorde aufgebrochenen Siggi  (Aletis) und Gerry (Witch). Wir drehen eine halbe Inspektionsehrenrunde, dann fällt der Anker. Und sitzt. Besser geht’s nicht. Übrigens: Exakt vor 6.880 Tagen haben wir genau in dieser Bucht Playa Francesa mit Just do it erstmals den Anker auf den Kanaren geworfen. Wenig später beginnen die Vorbereitungen für einen Salat, und dann werden die leckeren, kleinen Würstchen von Madeira gebraten.

Ich, Martin, muss zugeben, die Prognosen und Ankes Kalkulation zur Fahrtdauer stimmten fast auf die Minute. Für die 268 Meilen haben wir vom Leinen lösen bis zum Setzen des Ankers exakt 35 Stunden und 45 Minuten gebraucht. Und wäre mir nicht ein Trimmfehler beim Großsegel unterlaufen, den wir leider erst zwei Meilen vor dem Ziel erkannt haben, wer weiß, es hätte noch schneller gehen können.

Der nächste Morgen ist nicht weniger sanddunstig als der Abend zuvor: Ankerlieger in der Playa Francesa vor der Kontur Lanzarotes
Es ist schon wieder sooo lange her, dass wir mit dem Dinghi an einem Strand gelandet sind
Unübersehbar hat sich der Tourismus auf dem kleinen Inselchen seit unserem letzten Besuch vor 19 Jahren entwickelt. Aber er hält sich noch sehr in Grenzen.
Wir staunen, wohin sich Angler begeben, um erfolgreich zu sein
Alles zerfällt irgendwann …
Eingangs des Inselörtchens haben wir den Eindruck, dass sich nicht viel verändert hat. Die Straßen sind nach wie vor ungepflasterte Piste, neben dem einen oder anderen Haus ruht ein Boot, aber es gibt ein paar mehr Appartmenthäuser und Pensionen, aus dem ehemals einen sind nun zwei Minimärkte geworden, die Zahl der Bars und Restaurants hat sich erhöht, doch gibt es kein Internet-Café mehr. Stattdessen sind der Ort und auch die benachbarten Buchten über Mobilfunk mit dem Rest der Welt verbunden.
Anke vor einem Backofen, wie wir vermuten.
Panoramablick über den Hafen. Seinerzeit, also 2004 hat sich hier kein Mensch zum Baden in das Hafenwasser begeben. So ändern sich die Zeiten. Wir können allerdings bestätigen, dass das Hafenwasser ausgesprochen sauber ist.
Das einzige Fliesenbild, das wir an einer Fassade erblicken. Eine ländliche Szene. Scheinbar ungewöhnlich, dass der Bauer mit einem Kamel pflügt. Auch darf man rätseln, ob das Bild wirklich eine Szene aus Graciosas Vergangenheit widergibt, oder ob sie auf Lanzarote spielt.
Am zweiten Tag machen wir uns quer über die Mini-Dünenfelder auf zum Montaña de Amarilla. Der Berg ruft, würden Thomas und Christine – und Luis Trenker sicher auch – betonen 😉
Der Aufstieg erfolgt über einen Pfad mit sehr losem, von den Tritten der Besucher fein zertretenen, geradezu gemahlenem Lavagrus
Der östliche Kraterrand ist erklommen. Die Berge im Hintergrund, der Montaña de Morron und der Montaña Bermeja verdeutlichen, dass hier alles vulkanischen Ursprungs ist. Bei dem Inselchen handelt es sich um die Isla de Montaña Clara und hinter ihr zeichnet sich ganz schwach die Isla de Alegranza ab, die Insel, die wir bei unserer Ankunft 2004 als erste wahrnahmen.
Der südliche Kraterrand. Man sieht es nicht, aber aus dem Vulkankessel weht es mit brachialer Gewalt. Nicht umsonst hat ein recht neues Schild vor vielleicht dreihundert Metern das Weitergehen verboten. Wir wollten es natürlich wissen, aber die Naturgewalt überzeugt uns doch, wir kehren um. So haben wir zwar den Kraterrand, aber nicht den allerhöchsten Punkt des Vulkans erklommen.
Wir kehren auf einem etwas anderem Weg zurück und stolpern über eine Einsiedelei. Vieles deutet darauf hin, dass sie erst vor kurzem aufgegeben wurde. Eine mir zufällig begegnende Touristin kommt zu einem leicht abweichenden Schluss und fragt, ob ich hier lebe. Ich bin doch recht froh, diese Frage verneinen zu können.

Die Tage auf La Graciosa waren viel zu wenige. Doch wir mussten schnell wieder aufbrechen. Ein Gerichtstermin in Bremen erforderte wenigstens die Anwesenheit eines von uns. Also hieß es ab nach Arrecife. Dort hatten wir einen Liegeplatz reservieren können, und zwei Tage nach unserer Ankunft einen Flug nach Düsseldorf.

Wir sind unterwegs, doch seltsamerweise herrscht (schwacher) Südwind statt des versprochenen Windes aus Nordnordost. Wir motoren mal wieder. Anke hat gerade einen Eintrag ins Logbuch gemacht.
Und dann haben wir doch Glück, der Wind hat ein Einsehen, dreht um fast 180 Grad und frischt ein wenig auf. Mit so einer Art Ketsch-Schmetterling segeln wir Richtung Arrecife.

Nachvollziehbar kommen diese Grüße gewissermaßen geteilt

aus Arrecife von Anke und
aus Worpswede von Martin

Gerichts- und Anwaltstermine sind erledigt. Martin befindet sich schon wieder auf dem Rückflug aus Deutschland. Schwach ist Lanzarote zu erkennen. Es sind schöne Tage auf dieser kargen Insel angesagt.
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