Von Madeira nach La Graciosa
An einem der letzten Tage mit Auto musste natürlich noch eine kleine Rundtour folgen. Unbedingt wollten wir den Wasserfall besuchen, der sich auf eine Straße ergießt. Letztere sollte gesperrt sein, daher hatten wir sie bei einer unserer ersten Touren nicht befahren. Doch mittlerweile wussten wir, dass die „Sperrung“ wohl nur symbolischer Natur war, vermutlich aus versicherungstechnischen Gründen. Also, nichts wie hin. Von dort aus ging es noch einmal ins Inselinnere zum „Tal der Nonnen“ und anschließend über steilste Straßen fast wieder hinauf bis zum Pico Arieiro.
… und die freundlichen und liebenswerten Menschen.
Danach beschränkten wir uns auf den Dunstkreis der Marina. Erholten uns ein wenig, widmeten uns den üblichen Bootsarbeiten, Mago wurde mal wieder vom allgegenwärtigen Staub befreit, und genossen die Gemeinschaft der Segler. Anke machte mit Rolfs Hilfe nach dem Abschieds-Pizzaessen in der Marina-Bar noch einen letzten, spätabendlichen Last-Minute-Einkauf – Mariä Himmelfahrt folgte am nächsten Tag und damit waren die Supermärkte geschlossen. Da wir am Tag nach Mariä Himmelfahrt starten wollten, wär das dann doch unschön gewesen. So waren wir noch rechtzeitig und frisch proviantiert.
Auch das gehört zu den alltäglichen „boat-people“-Arbeiten. Nachdem unübersehbar war, dass Anke mir die Haare geschnitten hatte, gab es auch Nachfragen von Nachbarbooten. Hier Ruth in der Mache. Seltsam und geradezu diskriminierend ist allerdings, dass unsereiner dagegen seine Künste an Häuptern des weiblichen Geschlechts nicht demonstrieren darf. Das ist doch reichlich unzeitgemäß, oder? Gelle.
Am Donnerstag, dem 16. August, ziemlich genau um 09:00 Ortszeit tuckern wir durch die Hafeneinfahrt. Thomas und Christine haben unsere Leinen losgeschmissen. Eine schöne Zeit geht zu Ende. Draußen müssen wir rund 40 Minuten motoren, doch dann ziehen die Segel in einer angenehmen Brise. Wir gehen recht dicht an die Ilhas Desertas heran, da sieht man mehr von ihnen – und vielleicht zeigt sich ja ein Wal oder Delphin (leider nein). Die Inselnähe bringt vorübergehend recht unstete und böige Windeverhältnisse. Doch irgendwann sind die Inseln passiert, und damit beginnt der Wind kräftig und konstant zu ziehen. Sonderbarerweise viel vorlicher als erwartet.
Das Abendessen fällt spärlich aus. Die Seebeine müssen erst wieder wachsen. Eine gräßliche, in den Vorräten bislang unangetastet verbliebene Möhreneintopfdose eines bekannten deutschen Herstellers muss der Einfachheit halber dran glauben. Etwas Gutes hat´s: Gut, dass sie weg ist.
In der Nacht begleitet uns kräftiges Meeresleuchten, ein wogender, hellblauer Schimmer mit vielen aufblitzenden Lichtpunkten. Am Himmel leuchten ungezählte Sterne, die Milchstraße verläuft quer über das Boot, und es herrscht Neumond. Anke hat die Lotsenkoje freigeräumt, wir wollen den vermutlich ruhigsten Ort an Bord erstmals ausprobieren. Es mag unglaubwürdig erscheinen, aber wir haben die Lotsenkoje auf See tatsächlich bisher sehr selten genutzt. Die erste Wache übernimmt Anke. Ich finde in meiner Freiwache kaum Schlaf, der lädierte Rücken macht sich bemerkbar. Anke kommt besser mit ihrer anschließenden ersten Freiwache klar. Meine zweite Freiwache beginne ich wie gewohnt in der Vorschiffskabine, aber dort ist es diesmal viel zu unruhig: schnelles Vorankommen – an sich erfreulich – heißt bei etwas grober See meist auch unangenehmes Vorankommen.
Der nächste Morgen: Auf dem Seitendeck findet Martin einen fliegenden Fisch. Leider ist es schon zu spät für ihn. Er scheint in der Nacht an Bord gelangt zu sein und hat sein Leben ausgehaucht. Wenn es mehrere gewesen wären, hätte man sie zum Frühstück braten können. Wie auch immer, Martin lacht schon wieder. Seine üble Stimmung am frühen Morgen hat sich gegeben.
Am Morgen geht es Martin ausgesprochen schlecht. Der Rücken schmerzt heftig, die Psyche ist angeknackst, heftige Migräne kommt dazu und es droht, dass ihm auch noch schlecht wird. Etwas essen, Kaffee trinken und dann, sobald Anke aus ihrer Freiwache erwacht, nochmals hinlegen hilft. Im Lauf des Tages wird es besser. Erinnerungen an 2004 kommen hoch, und Vorfreude. Auf 13 Seemeilen können wir vage Konturen erkennen. In der Luft steht ein sandiger Dunst – Calima!
Etwa eine Meile vor dem Ziel müssen wir eindrehen und der Wind kommt voll auf die Nase. Da sind keine Umstände mehr nötig. Segel weg, Motor an. In der Bucht Playa Francesa liegen die bereits gestern in Quinta do Lorde aufgebrochenen Siggi (Aletis) und Gerry (Witch). Wir drehen eine halbe Inspektionsehrenrunde, dann fällt der Anker. Und sitzt. Besser geht’s nicht. Übrigens: Exakt vor 6.880 Tagen haben wir genau in dieser Bucht Playa Francesa mit Just do it erstmals den Anker auf den Kanaren geworfen. Wenig später beginnen die Vorbereitungen für einen Salat, und dann werden die leckeren, kleinen Würstchen von Madeira gebraten.
Ich, Martin, muss zugeben, die Prognosen und Ankes Kalkulation zur Fahrtdauer stimmten fast auf die Minute. Für die 268 Meilen haben wir vom Leinen lösen bis zum Setzen des Ankers exakt 35 Stunden und 45 Minuten gebraucht. Und wäre mir nicht ein Trimmfehler beim Großsegel unterlaufen, den wir leider erst zwei Meilen vor dem Ziel erkannt haben, wer weiß, es hätte noch schneller gehen können.
Die Tage auf La Graciosa waren viel zu wenige. Doch wir mussten schnell wieder aufbrechen. Ein Gerichtstermin in Bremen erforderte wenigstens die Anwesenheit eines von uns. Also hieß es ab nach Arrecife. Dort hatten wir einen Liegeplatz reservieren können, und zwei Tage nach unserer Ankunft einen Flug nach Düsseldorf.
Nachvollziehbar kommen diese Grüße gewissermaßen geteilt
aus Arrecife von Anke und
aus Worpswede von Martin