Nach Porto Santo

Nach Porto Santo

Im Vorwärtsdrang hätten wir beinahe den Blick zurück vergessen. Gerade noch rechtzeitig: Ein wenig Steilküste der Algarve und die dahinter liegenden sanft geschwungenen Berge. Makelloser Sonnenschein und zunnächst gibt es keinen Wind.

Es herrscht schönstes Wetter. Ein wolkenloser, strahlender Tag kündigt sich an, ein Tag wie fast jeder in den letzten drei Wochen, allerdings wird es auch ein recht heißer Tag werden. Gestern haben wir Wasser aufgefüllt und letzte Einkäufe gemacht. Am Montagmorgen, d.h. am 03. Juli hat Martin noch frisches Brot geholt und die üppigen Liegegebühren bezahlt. Dann letzte Vorbereitungen, letzte Stauarbeiten und fünf vor Zwölf lösen wir die letzten Landleinen. Die Brücke über dem Kanal zwischen Marina und See ist bereits geöffnet. Martin von der Isly steht an einem der Nachbarstege und winkt, Albert und Andrea, SY Pantiki, schicken eine Abschieds-WhatsApp, weil sie uns verpasst haben. Ursprünglich wollten wir früh morgens starten, aber ein schneller Blick ins Wetter hat uns noch warten lassen. So kommen wir hoffentlich besser um eine windreiche Wetterzelle herum, die wir nutzen aber nicht voll auskosten wollen. Danach soll es wieder sehr windig werden, was auch nicht gut wäre.

Anke hatte Orca-Finnen in einiger Entfernung ausmachen können, die Träger dieser Finnen blieben glücklicherweise auf Abstand. Umso schöner war gleich drauf der Besuch von Delphinen – Gewöhnlichen Delphinen (Delphinus delphis).
Unter herrlichen Bedingungen segeln wir zunächst Vollzeug, aber …
… es dauert nicht lange und trotz des noch immer freundlichen Himmels baut sich langsam eine rauere See auf. Noch sieht es harmlos aus, doch bald wird es ungemütlich und da es ja seit langem wieder eine eher ernsthafte Fahrt ist, denken wir beide in den nächsten Stunden gar nicht an das Fotografieren oder Filmen.

Mangels Wind motoren wir zunächst und halten eifrig nach unerwünschten Orcas Ausschau. Firecracker und Sturm-Feuerzeuge liegen bereit. Nach anderthalb Stunden gibt Anke dann tatsächlich Alarm, sie hat große Orca-Finnen gesehen. Zum Glück kommen dann doch nur zwei Delphine, die uns freundlich verabschieden wollen und etwas mitschwimmen. Wir hatten beim ersten Alarm sofort den Autopiloten ausgekuppelt und den Kurs weg von den Tieren gelegt. Einstudierte „Orca-Attack-Rolle“. Nach rund 11 Meilen und zwei Stunden Motorfahrt bekommen wir den versprochenen Wind zu fassen. Erst mäßig und angenehm, aber dann nimmt er mit den Stunden stetig zu. Die Welle wird dem angemessen größer und kommt genau von der Seite. Das ist nicht gerade komfortabel. Wir sind beide angespannt. Schon lange haben wir keine längere Passage mehr gemacht. Für’s erste Mal nach so langer Zeit werden Wind und Welle schließlich fast ein bisschen viel. Immerhin geben wir nach 30 Meilen Orca-Entwarnung.

Vor der ersten Nachtschicht reffen wir wegen der rauen Bedingungen ein zweites Mal. Andererseits hat Martin abends noch Albondigas gekocht, da kann es ja nicht so schlimm sein. Anke meint anschließend, er habe sich die 1. Freiwache redlich verdient. Martin: Ich finde allerdings keinen Schlaf und muss ständig zur Toilette: „Schwimmerschalterprobleme“. (Nicht in der Toilette, in meiner Blase.)

Eine Nacht auf See muss man erleben. Bei Vollmond ist es richtig hell, die Sterne sind blass und nur die leuchtkräftigsten zu erkennen. Dafür übergießt das Mondlicht die See mit einem silbrigen Glanz. Da spielt es bis zu einem gewissen Grad keine Rolle, ob man nun raue Bedingungen hat, oder gemütliche.

Etwa um 01:30 am beginnenden Dienstag sind die ersten 100 Seemeilen geschafft. Also 100 SM in 13,5 Stunden. Das ist schon ordentlich. In Ankes erster Freiwache – Martin ist gerade unter Deck – gibt es einen Mörderknall und man hört Wasser über das Deck fluten und ins Cockpit prasseln. Für die bestehenden Verhältnisse ist das eindeutig übertrieben. Rasmus hat einen an der Waffel. Von uns bekommt der keine Rumspenden mehr! Später stellen wir fest, dass die See einen der Lukenbezüge weggewaschen hat. Einen zweiten Bezug kann Martin durch schnellen Einsatz noch retten. Die Welle beträgt zurzeit vielleicht drei Meter, ist aber recht kurz und kommt quer ein. Immer noch sehr unangenehm. Bei Tageslicht stellen wir fest, dass auch Pütz, Gangway und Banana-Boot besser gelascht sein könnten, sie alle hat die brechende Welle verschoben. Das wird im Laufe des Tages erledigt – man merkt, wir sind noch nicht so richtig für die Hochsee sowie mehr Wind und Welle eingestimmt.

Nach dem Frühstück starten wir den Onan-Generator. Die Bedingungen hatten zu einem erkennbaren Mehrverbrauch (Strom) des Autopiloten geführt. Wenig später schwenken wir daher den in Hyéres gebraucht erstandenen Hydro-Generator ins Wasser. Das erste Mal! Und oh Wunder, endlich mal ein Ausrüstungsgegenstand, der auf Anhieb funktioniert. Das Ding deckt bei der momentanen Geschwindigkeit fast unseren Energiebedarf. Nach 12 Stunden Betrieb fehlen nur 4% der Batteriekapazität! Wir sind sehr angetan.

Das schlägt sich auch in Martins Stimmung nieder. Er hat ja seit seiner OP mit seltsamen Angstzuständen zu kämpfen, und die Erwartung möglicher Technikprobleme an Bord macht das nicht besser. Glücklicherweise wird er so langsam seine Beklemmungen los, und der Hydrogenerator leistet seinen Beitrag dazu.

Dieses seltsame Gebilde am Heck ist der „Hydro-Generator“. An einem flossenförmigen Schaft befindet sich eine kleine Gondel mit einem Propeller. Die Fahrtgeschwindigkeit versetzt den Propeller in Bewegung, und dessen Umdrehungen generieren elektrischen Strom. Kleiner Schönheitsfehler am Rande, zwischen dem zweiten und dritten Betriebstag muss ein elektrischer Fehlerstrom aufgetreten sein. An der Steckdose, die den Generator mit dem Bordnetz verbindet, tritt überraschend plötzlich eine auffällige Korrosion auf.

In der Nacht nimmt der Wind langsam ab. Da noch alte Welle steht, kommt es immer wieder zu heftigem Geschlage der Segel. Anke versucht in ihrer Wache alles Mögliche, das abzustellen, jedoch ohne Erfolg. Da hilft nur Geduld, bis sich die Wellen legen. Immerhin haben wir wunderschönen Vollmond, der die nächtliche See beleuchtet. Ab und zu schweben geisterhaft Sturmvögel durch die silbrige Szenerie.

Während ich in meiner Wache viel Zeit im Cockpit verbracht habe – inzwischen ist der Mittwoch angebrochen – um den Autopiloten ständig nachzujustieren und auch viel getrimmt habe, flutscht es in Ankes anschließender Wache. Der Wind dreht rück auf Nord und nimmt wieder etwas zu und das Boot läuft plötzlich wie auf Schienen über die See.

Sonnenaufgang
Genau hinschauen bitte: Bei der Fingerspitze befindet sich der Gipfel eines Unterwasserberges, des Seine Seamount. Ringsum haben wir etwa 4.000 Meter Tiefe, der Gipfel ragt jedoch bis auf 86 Meter an die Oberfläche heran. Zugegeben, für uns kein Problem.
Screenshot vom Bildschirm des Bord-PC. Mago del Sur, das rote Symbol, gleitet an dem Unterwassergipfel vorbei. Aufgrund seiner Form vermuten wir, dass es sich um einen früheren Vulkan handelt.

Im Lauf des Tages wird es immer ruhiger. Die white caps verschwinden. Leider wird der Wind damit etwas unstetig und raumt schließlich soweit, dass wir die Genua ausbaumen. Das gelingt erstaunlich schnell und unproblematisch. So ganz ideal erscheint uns das Segelsetup aber nicht, zumal besonders das Groß bei wellenbedingten Schaukelbewegungen in unangenehmer Regelmäßigkeit heftig schlägt. So kommen wir auf die Idee, Groß und Besan wegzurollen und die Besanfock zu setzen. (Die haben wir nur einmal seit Kauf des Bootes 2016 benutzt.) Nach Studium der etwas fragmentarischen Anleitung machen wir uns ans Werk. Das zarte Segel kann Martin mit bloßer Armeskraft vorheißen, nur für das Durchsetzen bedarf es der Winsch. Anke holt die Schot dicht, und wunderbar, da steht ein hübsches Segel und bringt auch ein Plus an Geschwindigkeit.

Wir sind gerade unter Deck als Martin ein Geräusch auffällt. Wie ein leichtes Reißen von Seidenpapier. Beim Blick aus dem Niedergang zeigt sich die Bescherung. Die Besanfock ist unterhalb der Verstärkung beim Segelkopf von einem Liek zum anderen gerissen. Ganze 10 Minuten hat diese Segelherrlichkeit gedauert. Gerissen bei echtem Leichtwind!

Sie stand zu schön, die Besanfock. Geradezu ein Bild von einem Segel. Doch nach nur wenigen Minuten ist die Herrlichkeit vorbei und allgemeiner Enttäuschung gewichen.

Trotz des Missgeschicks mit der Besanfock ist unsere Stimmung dank der inzwischen moderaten Bedingungen gut.

Später nehmen wir den Baum wieder weg, nur um ihn noch später – gegen 21:00 – wieder zu setzen. Dabei lassen wir Ankes Notebook allein, das gerade Wetterdaten über unser neues Iridium Go! Exec runterlädt. Das Notebook fährt sich leider selbsttätig runter, und danach klappt die Kommunikation zwischen Notebook und Iridium nicht mehr. Wir können keine Wetterdaten mehr laden. Schöne Sch…

Da Anke heute ziemlich erschöpft ist, wechseln wir entgegen unserer Gewohnheit die Wachen. Martin hat nun die erste Wache von 2100 bis 2400 und stellt bei Anbruch der Dunkelheit fest, dass der Vollmond noch gar nicht am Himmel steht. Die dunkle Nacht hat allerdings ihre Vorzüge. Die Venus zeigt sich in unglaublicher Leuchtstärke als gleißender, alles überstrahlender Fleck. Sterne und Milchstraße funkeln und neben dem Boot herrscht Meeresleuchten! Martin ist ganz begeistert und euphorisch. Wie lange ist das her, dass er das zum letzten Mal gesehen hat. Alle seine Beklemmungen und seltsamen Ängste sind mit einem Mal verschwunden.

Ein Bild aus der letzten Nacht. Eigentlich ließ sich die Nacht nicht in einem Foto festhalten, und doch, auf gewisse Art hat dieses Ergebnis seinen Reiz.

Mit Anbruch des Donnerstags ist der Wind so schwach, dass wir Zweifel haben, unter Segel unser Ziel zu erreichen. Doch mit viel Kontrolle der Verhältnisse, Eingriffe in den Autopiloten und auch ein wenig unerwarteter Kooperation des Windes können wir bis kurz vor die Hafeneinfahrt von Porto Santo segeln. Dort lassen wir im Hafen den Anker fallen und Martin lässt es sich nicht nehmen, einen ersten Testsprung ins hier wirklich saubere Hafenwasser zu machen. Angekommen!

Wie sich die Insel vor uns in all ihrer Pracht ausbreitet, lässt hoffentlich das Titelbild ahnen.

Der Morgen des Donnerstag bricht an. Man könnte auch sagen, er dräut. Die hinter uns liegende Wolkenwand wirkt jedenfalls recht bedrohlich, bleibt aber friedlich und löst sich auf.
Und irgendwann ist der Moment erreicht, an dem man im Dunst die Konturen von Land erkennt. Hier ist seit diesem Moment bereits einige Zeit vergangen. Die Konturen haben Schärfe und farbliche Nuancen erhalten. Vor uns liegt die markante Silhouette von Porto Santo, und enntgegen unserer Befürchtungen können wir noch immer segeln.
Anke filmt die Rundung unserer letzten Wegmarke, der Ilha de Cima.

Wer unsere Beiträge aufmerksam verfolgt, wird jetzt eine Lücke festgestellt haben. Und in der Tat, die Zeit von Ayamonte mit Sevilla und Jeréz sowie Culatra und anschließend Lagos und umzu haben wir übergangen. Wir wollten mal aktuell sein. Aber die ausgelassenen Eindrücke werden durch ein paar zeitliche Rücksprünge kompensiert werden. Versprochen.

Sanft vor dem Anker schunkelnd – ein seltsamer Schwell steht heute in das Hafenbecken von Porto Santos – möchten wir auf die Möglichkeit eines Abos hinweisen: Wer in Zukunft keinen Beitrag mehr verpassen will, kann unseren Blog abonnieren, und das geht einfach über die Seite Kontakte, oder indem man – noch einfacher – hier klickt.

Ansonsten wünschen wir Euch allen einen wunderschönen Sommer

Martin und Anke

Ein Gedanke zu „Nach Porto Santo

  1. Dann seid ihr jetzt mitten im blauen, blauen Meer! Viel Spaß auf Porto Santo!

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