Johannes ist glücklich! (und ein Orca-Hinweis)
Der ursprüngliche Titel dieses Blogbeitrags hieß schlicht „Johannes“. Doch innnerhalb kürzester Zeit haben sich die Dinge entwickelt, und daher wollten wir den Beitrag einfach aktualisieren. Die Auflösung bzw. der Gegenstand der Aktualisierung folgt am Ende des Beitrags – Spannung muss sein!
Mit Johannes wollen wir eine irgendwie ganz besondere Angelegenheit thematisieren. Der Zufall und Corona haben es gewollt, dass wir inzwischen viel länger als geplant in Lagos liegen. Schon gleich zu Beginn unseres Aufenthalts besuchte uns ein etwas fernöstlich aussehender, allerdings leicht ostdeutsch sprechender Johannes, da ihn unser TO-Stander angelockt hatte.
Inzwischen haben wir uns näher kennen gelernt, und wir möchten Johannes denen vorstellen, die ihn nicht kennen. Johannes Yan Sha Li, so der vollständige Name, ist Asperger-Autist. Wenn jetzt jemand stutzt, ja Greta T. und Elon M. gehören auch zu diesen Menschen. Aber es gibt da noch einen großen Unterschied. Johannes ist elternlos und in einem Heim aufgewachsen. Er hat eine abgeschlossene Schulausbildung und eine Lehre als Elektriker absolviert und besitzt den Gesellenbrief.
Und er hat sich vorgenommen, als erster Autist und einer der jüngsten Deutschen einhand die Welt zu umsegeln. Als junger Mensch hat er diesen Plan auch gleich über Social Media verbreitet. Man kann sich denken, dass die Reaktionen breit gespreizt waren und sind. Er findet für seinen Plan auf der einen Seite begeisterten Zuspruch und auf der anderen Seite auch schroffe Ablehnung und Unverständnis.
Nun, wir hatten die Gelegenheit, ihn und seine Fähigkeiten genauer kennen zu lernen.
Johannes ist von den Niederlanden mit mehreren Zwischenstopps über A Coruña auf dem (mit Bugspriet gemessen) 32 Fuß langem Nantucket Clipper Parva Navis bis nach Lagos gesegelt. Schaut man genauer hin, hat er die Biskaya sogar schon dreimal besegelt. Wenn wir uns richtig erinnern auch einmal mit Abilash Tomy, dem indischen Teilnehmer des Golden Globe Rennens 2022. Weitere Erfahrung sammelte er als Techniker auf der Loth Lorient, einem Schiff der holländischen braunen Flotte.
Besucht man die Parva Navis – wir hatten in Lagos natürlich die Gelegenheit – ist man von den technischen Installationen überrascht. Die elektrischen und auch die sonstigen Installationen, die er weitgehend selbst vorgenommen hat, sind von bester Qualität. Wir haben bis heute mit wenigen Ausnahmen so gut wie kein Boot kennengelernt, unser eigenes eingeschlossen, dass eine so perfekte Elektrik besitzt. Die meisten Edelstahlarbeiten an Bord hat er ebenfalls selbst ausgeführt, darunter eine solide „Schwiegermutterreling“, ebenso Ergänzungen und Verbesserungen am Rigg. Seine Ausrüstungsliste spricht aufgrund der Qualität der Produkte und Gegenstände für sich.
Anke zu Gast an Bord der Parva Navis. Gut zu erkennen die stabile Schwiegermutter-Reling.
Begegnet man ihm zum ersten Mal, schreckt man vielleicht zurück. Johannes ist jung und er ist eben als Asperger-Autist etwas anders. Das macht den Umgang im ersten Moment nicht einfach und kann auch abschrecken. Gerade wenn er in Fahrt ist und von abenteuerlichen Ideen übersprudelt. Aber zunächst mal, jeder erinnere sich an seine Ideen und Fantastereien im vergleichbaren Alter. Der Unterschied ist nur, dass Johannes diese nicht zurückhält, wie wir es vielleicht getan haben (ich schreibe in verklärter Rückschau, ist ja klar) sondern sie munter heraussprudelt. Dennoch, anders als ein erster Eindruck vielleicht erscheinen mag, Johannes ist keinesfalls ein naiver Träumer. Das zeigen seine vielen Fragen, die er uns im Lauf unserer täglichen Begegnungen gestellt hat. Und: Auf seiner Reise von Terherne (Niederlanden) nach Lagos hat er darüberhinaus jede Menge seglerische Erfahrungen sammeln können. Und er wird sicher auch weiter Erfahrungen sammeln. Wer immer die Möglichkeit hat, ihn gerade auch bei dem Sammeln seglerischer Erfahrungen zu unterstützen, der möchte das doch bitte tun.
Auf die Absichten und Ziele, die er mit seinem Projekt verfolgt, will ich nicht weiter eingehen, das lässt sich aus seinem verschiedenen Social-Media-Auftritten nachlesen. Seine Homepage findet man, wenn man auf diesen Satz hier klickt.
Als wir ihm begegnen, steht er vor einem grundsätzlichen Problem: Sein jetziges Boot, der aus dem Jahr 1965 stammende Nantucket Clipper, ist schlicht und einfach weich und nicht mehr ausreichend seefähig für sein Vorhaben einer Weltumseglung. Das Deck unter dem Besan gibt erkennbar nach, und auch der Großmast steht nicht mehr stabil. Erstaunlich, dass Johannes dennoch fast das gesamte stehende Gut noch jüngst erneuert hat.
Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen: Johannes benötigt ein neues Boot und um sich dieses leisten zu können, bedarf es finanzieller Unterstützung. Als wir uns kennenlernen taucht überraschend die Option auf, eine zwar schon etwas ältere, aber anscheinend bestens gepflegte und unterhaltene Amel Fango zu erwerben. Und damit ergibt sich das Problem, wie finanzieren? Beim ersten Gespräch über das Projekt „neues Boot“ hat er schon einen Teil der erforderlichen Mittel einwerben können, aber zwei Drittel des aufgerufenen Preises fehlen noch. Wir vermitteln ihm, dass ein aufgerufener Preis, auch wenn er bereits einmal gesenkt wurde, kein endgültiger Preis ist und er noch weiter verhandeln kann und auch sollte.
Anderthalb Tage später kommt er zur täglichen, vormittäglichen Gesprächsrunde vorbei. Beiläufig teilt er mit, dass er den geforderten Kaufpreis zusammen hat. Wir staunen und freuen uns für ihn.
Interessant ist auch der Wandel, der mit Johannes scheinbar vorgeht. Nachdem klar ist, dass er die Amel Fango tatsächlich wird kaufen können, beschäftigen ihn zahlreiche praktische Fragen. Und die machen deutlich, dass er ein durchaus vernünftiger junger Mann ist. Er fragt sich nun, ob er mit den neuen, größeren Segeln und den dadurch auftretenden Kräften klarkommen kann, wie schnell die (realistische) durchschnittliche Reisegeschwindigkeit sein könnte, welches Ankergeschirr er für das Boot benötigt und vieles andere mehr. Dabei fällt uns auf, dass viele seiner Gedanken sich mit Aspekten der Sicherheit beschäftigen. Weiter fällt uns auf, dass er trotz seines jugendlichen Schwungs und seiner „Aspi-Verve“ zuhört. Mehr noch, er kommt, um zu fragen, Rat zu erhalten und seine Ideen zu diskutieren. Und er hört nicht nur zu, er nimmt unsere Antworten auch an.
Auch ist es aus unserer Sicht wichtig festzuhalten, dass unsere Begegnung keine Einbahnstraße war. Johannes hat ohne Zögern bei uns an Bord angepackt bzw. uns unterstützt. So beim Versuch, unsere blinden Folien unserer Sprayhood wieder in einen besseren Zustand zu bringen, viel wichtiger jedoch, er konnte uns bei der Ersteinrichtung unseres neuen Iridium Go Exec und dem ersten Test-Call unterstützen. Ohne seine Hilfe wären wir nie so schnell zum erfolgreichen Ergebnis gekommen.
Johannes bereitet die Parva Navis auf den nächsten kurzen Schlag nach Portimao vor. Die Segel werden angeschlagen und vorgeheißt. Alles wird noch mal kontrolliert, bald kann es losgehen.
Am 23. Juli ist es dann soweit. Er bricht mit seiner Parva Navis Richtung Faro auf während wir gerade einen Ausflug nach Sagres machen. Wir schicken ihm noch ein paar Orca-Infos hinterher, schließlich sind wir bei diesem Thema immer noch hautnah am Ball.
Auf jeden Fall wünschen wir Johannes von Herzen alles Gute und allen Erfolg bei seinem geplanten Unternehmen. Wir wissen, dass er und sein Vorhaben kontrovers diskutiert wird. In den sozialen Medien ebenso wie bei Organisationen und Vereinen, die ihn unterstützen könnten. Nach unserer gemeinsamen Zeit möchten wir für ihn gerne eine Art Multiplikator sein. Wir möchten Menschen, die sich von seinem Vorhaben und seiner Idee, für autistische Menschen ein Zeichen zu setzen, inspirieren lassen, ermutigen an Johannes zu glauben und ihn zu unterstützen. Natürlich ist ein Scheitern niemals ausgeschlossen, aber man kann nur scheitern, wenn man eine Sache nicht versucht, nicht versucht einen Traum zu leben. Wer weiß das besser als wir, Anke und ich? Und ganz ehrlich, da halten wir es mit den Amerikanern. Für die ist ein Scheitern nebensächlich, das Entscheidende ist der Versuch. Und das ist vielleicht auch der Vorteil, über den ein Asperger-Autist gegenüber einem Normal-Mitteleuropäer verfügt, er denkt nicht über das Scheitern nach, sondern über die Idee, das Ziel. Und er setzt alles daran, das Ziel zu erreichen. In diesem Sinne: unterstützt Johannes! Hier nochmal der link zu seiner Web-Page. Wenn erforderlich helfen wir auch bei der Kontaktvermittlung.
Und jetzt der eigentliche Inhalt der Aktualisierung. Johannes und die französischen Verkäufer konnten sich auf einen Preis einigen. Die Amel Fango ist seit gestern, dem 30.06.2023 in Johannes´ Besitz. Das Titelfoto zeigt Johannes stolz und freudig im Cockpit seines neuen Bootes (Bildautor: Johannes Yan Sha Li). Wir gratulieren!
Johannes, wir wünschen Dir alles Gute und viel Erfolg. Du wirst es schaffen!
Faro am 25.06.2023, upgedated am 01.07.2023, überarbeitet am 17.10.2023
Martin und Anke