Jenseits von Gibraltar und Video # 4
Jenseits von Gibraltar war Murks, wie ja jeder Leser unserer Seite inzwischen weiß. Zumindest bis Barbate. Und die Episode lassen wir abgesehen von ein paar Bildern, die das entspannte, urlaubsgleiche Seglerdasein in besonderen Fällen illustrieren, einfach aus. Danach ging es wieder halbwegs normal weiter. Überraschend lautstark war es dann bei der Annäherung an Cádiz. Es hatte einen mörderischen Knall gegeben. Wir schauten uns an. Bei uns an Bord war das nicht gewesen, oder? Aber ein Böller – in Spanien ja durchaus üblich – war das wohl auch nicht. Nur was war das gewesen? Eine Viertelstunde später wieder so ein donnernder Knall. Merkwürdig. Nach 15 Minuten ein weiterer. Lauter als die vorausgegangenen. Wird hier geschossen? Hans, der Skipper der Bijou, hatte vor Tagen etwas von Schießgebieten erwähnt. Wir prüfen unsere Seekarten. Keine Eintragungen. Wir prüfen Navionics – nichts. Im Internet – wir haben Empfang – ist auch nichts zu finden. Nach einer halben Stunde ein anderer Knall, sehr trocken, sehr nah. Hier wird doch nicht etwa auf uns geschossen? Beim nächsten extra trockenen Knall meint Anke an Land eine Rauchwolke gesehen zu haben. Und tatsächlich, etwas südlich von Cádiz ist offenbar eine Feuerstellung. Und hier wird heute erkennbar geschossen. Ohne Zweifel. Einfach über uns hinweg. Keine Absperrungen, keine Warnungen, da kann es ja nicht gefährlich sein, oder? Dann hören wir ein Funkgespräch zwischen einem anderen Segler und der Marina von Cádiz. Letztere weiß auch von nichts, meint aber, es könne nicht gefährlich sein, sonst hätte man sicher Bescheid gegeben. Optimistisch wie wir sind, wollen wir der Marinaangestellten gerne glauben.
Kurz vor der Marina von Cádiz nehmen wir per Funk Kontakt auf. Doch der Puerto America in Cádiz hat leider keinen Platz für ein Boot unserer Größe. Wir weichen nach Porto Sherry aus. Die Marina von Puerto Sherry wirkt wie aus der Retorte, und in der unmittelbaren Umgebung hat wahrscheinlich Corona die weitere bauliche Entwicklung unterbrochen. Die vielen Bauruinen lassen das zumindest vermuten. Andererseits liegt man hier sicher und gut und ein Ausflug nach Cádiz ist kein Problem.
Per Fähre geht es nach Cádiz. Die Fahrt dauert etwa eine halbe Stunde und ist unerwartet rau. Die Dame am Ticketschalter hatte uns schon gewarnt und orakelt, dass wir wegen des befürchteten Starkwindes vielleicht nur per Bus würden zurückkommen können. Auf der Bucht schauen wir uns aufmerksam um. Im Herbst 1805, also vor rund 220 Jahren, hatte sich die vereinigte französisch-spanische Flotte tief in der Bucht von Cádiz versammelt und war dort von den Briten blockiert worden. 33 Linienschiffe, mehrere Fregatten und Briggs lagen hier. Das muss ein beeindruckendes Bild gewesen sein. Zwischen den Schiffen muss ein unaufhörliches Hin und Her an Ruderbooten und kleinen Seglern stattgefunden haben. Die Schiffe und Mannschaften waren zu versorgen, Kommunikation per Botendiensten fand statt, Offiziere besuchten einander auf den unterschiedlichen Schiffen. Bis schließlich der französische Flottenchef Vizeadmiral Pierre de Villeneuve den Befehl zum Ausbruch gab. Bis heute ist es ein Rätsel, wie es zu dem Entschluss gekommen ist. Unter anderem spekuliert man, dass Villeneuve von seiner bevorstehenden Ablösung erfahren hatte. In britischen Quellen wird Villeneuve als schwermütig oder depressiv geschildert, und dass sein spanischer Kollege Admiral Gravina y Napoli über dessen Unfähigkeit verzweifelte. Das Ergebnis war, wie heute jeder weiß, jedenfalls katastrophal. Annähernd zwei Drittel der französisch-spanischen Schiffe in der Schlacht von Trafalgar wurden erobert(!). Das Verhältnis von Todesopfern zwischen der englischen Flotte auf der einen und der französisch-spanischen auf der anderen Seite unterschied sich 1:10, was auch einer ungeeigneten Taktik seitens der französischen Flottenführung geschuldet war. Die meisten Toten wurden während der Gefechte schlicht über Bord geworfen. Sie waren im Weg, und das waren keine zimperlichen Zeiten damals. Nur die gegen Ende der Schlacht Gefallenen erhielten ein halbwegs würdiges Seemannsbegräbnis. Und nur die, die ihren Verletzungen erst im Hafen erlagen, wurden auch an Land bestattet. Daran erinnert in Gibraltar heute der Trafalgar Cemetery.
Cádiz war und ist eine wohlhabende Stadt. Sie prosperierte aufgrund des Kolonialhandels in außergewöhnlicher Weise, was sich auch heute noch im Stadtbild ablesen lässt. Wir lassen uns einfach treiben und vom wuselnden Leben in den Straßen beeindrucken. Dass eigentlich Siestazeit ist, lässt sich nicht erkennen.
Vor der Kathedrale stoßen wir auf eine Ausstellung mit „kosmischen“ Fotos. Bilder von Satelliten und Forschungssonden werden hier gezeigt – im Großformat werden spektakuläre Ansichten der Planeten und Monde, der Sonne und einiger Objekte unseres Sonnensystems präsentiert. Leider gibt es keinen Bildband mit den ausgestellten Fotos.
Zunächst fesselt uns die Ausstellung „Otros Mundos“ (Andere Welten), die vor der Kathedrale 40 außergewöhnliche Fotos präsentiert, die im Rahmen der Weltraumforschung in den letzten 6 (!) Dekaden entstanden sind. Da die Fotos in hochgradig spiegelnden Panelen gehaltert sind, ergeben sich reizvolle Effekte. Anke vor der zarten Atmosphäre eines Jupitermondes, wenn wir uns recht erinnern.
Schatten und Reflexionen. Saturn.
Das wissen wir jetzt aber ganz genau.
Und bei jeder Gelegenheit sind wir bestrebt, auf einen der Kirchtürme zu gelangen. Uns überrascht der diesmal stufenlose, recht breite und hohe Aufstieg. Martin unkt, die Mannen seien früher zu Pferde auf den Turm geritten. Anke relativiert ihre spontane Reaktion (Du spinnst) wenig später, und in der Tat erfahren wir schließlich, dass es durchaus nicht unüblich ist, dass Türme, besonders wenn sie maurischen Ursprungs sind, dafür ausgelegt wurden, dass man sie zu Pferde beritt oder wie auch immer man das nennen soll.
Es ist ziemlich laut und kann ganz schön erschrecken, wenn man unterhalb einer solchen Glocke steht, und diese plötzlich losschlägt.
In Puerto Sherry brauchen wir etwas, bis wir den TO-Stützpunkt ausfindig machen. Die Stützpunktleiterin Karen ist leider gerade nicht da – wir haben aber wieder ein Pech!– immerhin treffen wir ihren Mann Emilio, der eine Art Jugendkneipe betreibt.
Wenig später geht es weiter nach Ayamonte. Dort hatten wir telefonisch einen Platz reservieren können, was wir selten machen, aber was zurzeit wichtig ist. Wegen der Orcas scheinen sich die Yachten überall in den Häfen und Marinas zu stauen und nur verhalten weiter ins Mittelmeer zu gehen. In all den Häfen und Marinas, in denen es vor zwei Jahren Liegeplätze ohne Ende gab, premmeln sich heute die Boote und man hat Schwierigkeiten unterzukommen.
Die Seekarte verheißt für die Einfahrt nach Ayamonte extrem wenig Wasser. Auf unseren Funkanruf hin empfiehlt uns der Marinero, erst bei hochstehender Tide einzufahren. Also warten wir noch eine geduldige Stunde vor der Einfahrt, mit dem Ergebnis, dass zwei andere Boote kurzerhand an uns vorbei fahren und an den für uns vorgesehenen Liegeplatz gehen. Also warten wir noch ein bisschen länger, bis die beiden wieder verscheucht sind. Später stellen wir übrigens fest, die Wassertiefe in der Einfahrt ist mehr als ausreichend! Selbst bei Niedrigwasser kämen wir mit unseren 2,20 m Tiefgang durch.
Natürlich hatten wir mal wieder rein versehentlich eins der gehobeneren Etablissements erwischt. Manchmal fragen wir uns, ob das mit rechten Dingen zugeht. Wir schauen nach einfachem Mobiliar, schlichtem Ambiente, vielleicht lassen wir uns mal von der Zahl der Gäste verleiten, aber auch das ist keine Garantie, und doch landen wir oft zielsicher bei kulinarischen Kleinoden. In den Orangenhälften hier befindet sich eine exzellente Crème brûlée
Kaum angekommen, mache ich mich per Taxi, Bahn, und Bus auf den Weg zum Flughafen in Faro. Von dort geht es nach Düsseldorf und zu Wolfgang und Friderun in Recklinghausen. Bei der Gelegenheit kann Martin auch sein altes Tantchen, das letzte aus einer größeren Schar, im Pflegeheim besuchen und mit ein paar Pülleken versorgen, die sie ja so gerne hat. Vorsichtshalber frage ich sie, ob sie den einen Flaschenöffner hat. Nö, habe sie nicht, aber das sei kein Problem. Sie reißt eine Flasche aus dem Sixpack, wackelt zur Zimmertür, späht vorsichtshalber mal auf den Gang, und dann braucht es nur ein, zwei kräftige Bewegungen und sie hat mit Hilfe des Türschlossbeschlags den Kronenkorken vom Flaschenhals gehebelt. Prost! Man unterschätze mir die alten Tanten nicht, kann ich da nur sagen.
Am anstehenden Wochenende geht es mit einem Umweg über Henrichenburg, die alten Schleusen und Hebewerke dort erwarten meine Aufwartung (Erinnerungen an Kindheitstage), zum Abi-Jahrgangstreffen in Datteln. Eine feine Angelegenheit, unerwartet persönlich und familiär. War ich am Nachmittag noch ziemlich müde und schwach, die Anreise machte sich bemerkbar, gehörte ich dann doch zu den letzten, die schließlich vom Personal des Gasthauses rauskomplimentiert werden mussten. In der Rückschau: Es waren fast 62 Mitschüler und sogar 4 Lehrer gekommen. Das waren rund zwei Drittel des Jahrgangs, eine wirklich schöne Zahl.
Da der Blogbeitrag ein wenig fernere Vergangenheit eingebunden hat, wollen auch noch einen Blick auf etwas jüngere Vergangenheit werfen: Das nächste Video ist erstellt und fasst unsere Reise von Boulogne-sur-Mer über Le Havre nach Cherbourg zusammen:
Das Beitragstitelbild zeigt übrigens ein Motiv auf einer der Wände von Ayamonte: Feria! Was wir als ausgesprochen treffend empfinden. Für uns soll Ayamonte nach dem Stress der Anreise seit Almerimar ein wenig Ferien bedeuten.
Wieder zurück beim Boot und in der Jetztzeit möchten wir auf die Möglichkeit eines Abos hinweisen: Wer in Zukunft keinen Beitrag mehr verpassen will, kann unseren Blog abonnieren, und das geht einfach über die Seite Kontakte, oder indem man – noch einfacher – hier klickt.
Liebe Grüße
Martin und Anke