Malta inkognito

Malta inkognito

Eigentlich muss man sich an den Kopf fassen. In La Rochelle hatten wir unser Rigg prüfen und überarbeiten lassen, und es hatten sich bekanntlich erhebliche Mängel gezeigt, die unsere liebe Werft in der Heimat verzapft hatte. Andererseits hatten die Helden in La Rochelle den Mast dann so stark gekrümmt, dass uns das auch nicht geheuer erschien. Doch irgendwie waren wir damals wohl zu erschöpft von dieser Rigg-Baustelle, dass wir bei dem dortigen Rigger nicht mehr insistiert haben. Wohl gefühlt haben wir uns jedoch nicht mit diesem extremen Masttrimm. Nun war uns hier, in unserem Winterquartier Marina die Ragusa ein gewisser Nicki empfohlen worden. Nicki, ein Rigger aus Malta, und sehr vertraut mit Amel-Riggs. Zwischendurch hieß es, er würde aus anderen Gründen nach Marina die Ragusa kommen, was ja sehr passend gewesen wäre, aber das hat sich zerschlagen. Also war klar, wir würden nach Malta fahren müssen. Segeln, wenn möglich.

Dank AIS können wir den uns umgebenden Schiffsverkehr auf einem Monitor bzw. unserer elektronischen Seekarte verfolgen. Die blauen Dreiecke kennzeichnen Handelsschiffe auf dem Weg von Ost nach West oder umgekehrt. Das rote Symbol stellt unser Boot dar. Unser tatsächlicher Kurs ist schwarz gestrichelt, der der anderen Schiffe blau. Die gelbe Linie, die von unserem Schiffssymbol ausgeht zeigt den Vorhaltewinkel, den wir wegen versetzender Strömung halten. Mandarin Hantong wird nach diesem Kartenbild vor unserem Bug passieren. Die durchgezogene blaue Linie symbolisiert den Moment und die Enden der Linie die Schiffspositionen, wenn Mago del Sur und das Handelsschiff sich am nächsten sind.
Einer der vielen Frachter und Tanker geht vor uns durch

So ergab sich, dass wir am 19.04. die Muringleinen loswarfen, die Landleinen lösten und wenig später unterwegs waren, Kurs Süd. Der anfänglich nicht vorhandene Wind wich vorhersagegemäß einem netten Lüftchen, so dass wir den größten Teil der Strecke bei freundlichen Verhältnissen segeln konnten. In Malta bei Valetta taten wir uns schwer, einen Ankerplatz zu finden, die uns empfohlenen Möglichkeiten erwiesen sich als wenig verlockend und auch nicht den vorhergesagten, stärkeren Winden gewachsen. So endeten wir schließlich teuer in der Roland Marina im Städtchen Gzira. Dazu muss man anmerken, dass das Umfeld von Valetta aus mehreren irgendwie unabhängigen Gemeinden gebildet wird, deren Grenzziehungen für einen Auswärtigen schier unentschlüsselbar sind. Wir lagen also in Gzira (sprich dschiera), die für uns maßgebliche Bushaltestelle nannte sich aber nach einem Stadtteil Ta´Xbiex (sprich taschbiesch), sofern wir es richtig verstanden haben. Malta, für uns hieß das in erster Linie Valetta, Gzira und Ta´Xbiex, erwies sich als ungemein vielfältiges, von einem bunten Völkergemisch bewohntes, Fleckchen Erde. Allein drei Tage durchstreiften wir Valetta, immer wieder aufs Neue inspiriert und fasziniert.

Moderne Architektur, klar und ohne Künstelei, betont den Eingang in die Altstadt von Valetta. Der Bezug zur Historie erfolgt durch die Verwendung des gleichen Baumaterials: Kalksandstein (Muschelkalk), wie ihn bereits ungezählte Generationen von Maltesern genutzt haben.
Die Gräben vor den Festungsmauern, die Valetta schützen, sind gewaltig: Scheinbar unendlich tief und breit. Diese Festungsstadt muss den damaligen Zeitgenossen wahrhaftig als uneinnehmbar erschienen sein.
Im Innern der Festungsstadt zeigen sich die Fassaden der Gebäude wieder einmal als individuell gestaltet und fein gegliedert. Typische Gestaltungselemente sind die Erker.
In den Upper Barrack Gardens
Der Neptuns-Brunnen bei Nacht
Im Innern eines der Paläste kommt Anke einem Papageien näher.
Die Museen Maltas sind einen Besuch wert und rechtfertigen allein schon einen ganzen Urlaubsaufenthalt. Das Archäologische Museum – nur für dies blieb uns Zeit – stellt die lokalen Kulturen von der Steinzeit über die Bronzezeit (Phönizier, Griechen) bis zur Eisenzeit (Römer) dar. Interessant sind aus unserer Sicht vor allem die Relikte der Steinzeit, die eine viel weiter entwickelte Kultur dokumentieren, als wir (oder ich) bislang mit dieser Menschheits-Epoche verbunden haben, sowie die Darstellungen der Funde, die bei einem vor Xlendi, Gozo, gesunkenen phönizischen Schiff aus dem 7. Jh. v. Chr. geborgen werden konnten.
Neben viel Modernem und Restauriertem gibt es auch heute noch die weniger begüterten Viertel. Hier finden sich verschiedenste Zeugnisse des hiesigen, eher einfachen Lebens in alten Gemäuern. Nicht minder interessant und erkundenswert als Museen, Paläste und Ausstellungen.

Am letzten möglichen Tag, einem Freitag, bevor er nach Montenegro abreisen musste, tauchte Nicki auf, Anke wollte gerade anfangen, ihn mit Paolo zu vergleichen, als er klopfte. Nicki überzeugte sogleich durch Zielstrebigkeit und lösungsorientierte Arbeit. Wir verbrachten zwei, drei intensive Stunden an Bord, danach stand das Rigg. Zwar noch nicht perfekt – auch in Nickis Augen nicht – aber schon deutlich besser und und im wahrsten Sinne des Wortes entspannter als zuvor.

Nach drei Tagen Valetta reizte uns auch der Rest des Archipels ein wenig. Also sind wir die Nordküste entlang etwas nach Westen gesegelt, um in der St. Pauls Bay zu ankern. Wir kamen genau richtig, um so einer Art Formel 1-Rennen auf dem Wasser beizuwohnen, kaum dass der Anker gefallen war.

Formel 1 auf dem Wasser

Im AIS hatten wir in der Nachbarbucht Haipule entdeckt, klar, dass wir uns am nächsten Tag treffen würden, zumal Martins Geburtstag anstand. Nach kurzer Abstimmung trafen wir uns auf einen kleinen Geburtstag-Sekt in der Blauen Lagune von Comino, einem Inselchen zwischen Gozo und Malta. Für den Geburtstags-Abend verlagerten wir uns dagegen in einen schmalen, fjordähnlichen Einschnitt an der Südküste Gozos, den Mgarr ix-Xini (sprich hmgar-isch-schini).

Der nächste Tag bescherte morgendliche Spaziergänge und dem ein kurzer Tripp weiter gen Westen Gozos in die Dwejra-Bucht (das ist einfach: sprich dweira) folgte. Diese Bucht ist spektakulär, da kreisrund, auf der Westseite durch einen großen Felsen geschützt, der nur zwei schmale Einfahrten frei lässt, und ansonsten von steil aufragenden, teils himmelhohen Felsklippen umfasst. Auf den ersten Blick trostlos. Doch fast jeder, der hier lag, hat sich auf diese besondere Situation eingestellt und war anschließend fasziniert.

Vor Anker und mit Landleine in Mgarr ix-Xini
Birgit von der Haipule unterwandert Opuntien
Carpobrotus acinaciformis – Ankes Lieblingszungenbrecher aus Studententagen. Also dieses mittelmeerische Blütendingsda trägt den vorne genannten botanischen Namen und stammt eigentlich aus Südafrika.
Der Frühling beginnt, wohin man auch blickt.
Birgit und Anke auf Tour
In Mgarr ix-Xini (fast wie in Patagonien)
Ein alter Wachturm markiert die Xlendi-Bay. Zwischen dem gelblichen Gestein im Vordergrund und dem blassen Gestein im Hintergrund geht es in die Bucht. Wir werden aber weiter gehen und die nächste Bucht, die Dwejra Bay, aufsuchen.
Ansteuerung der von steilen Felsen geschützten Dwejra Bay
Der Fels, der die Dwejra Bay gen Westen schützt im Licht der fahlen, dunst- und wolkenverhangenen Abendsonne

Leider war unsere Zeit begrenzt, denn wir wollten zurück nach Marina di Ragusa. Auch dort warteten noch Aufgaben auf uns, die erledigt sein wollten. So verabschiedeten wir uns schweren Herzens von Birgit und Hans und segelten bei moderaten und gelegentlich fehlenden Winden wieder zurück. An der Hafeneinfahrt zum Porto Turistico freute sich der Marinero sichtlich, uns wiederzusehen. Was uns sogleich ein heimeliges Gefühl gab.

Jetzt wird sich jeder fragen, wie wir es geschafft haben, klammheimlich nach Malta und zurück zu segeln. Nun, wir sind eigentlich und auch grundsätzlich und überhaupt unschuldig. Doch es gibt ein technisches Problem bei der Programmierung der Software, die für die GPS-basierte Positionsbestimmung benötigt wird. Als man sie entwickelte, ist man anscheinend nicht von einer so langen Lebensdauer des Systems ausgegangen. Laienhaft ausgedrückt: Sie besitzt das Manko, dass die verstreichende Zeit von der Software mitgezählt werden muss. Warum auch immer. Nur ist der für die Zählung zur Verfügung stehende „digitale Platz“ begrenzt. Und die Zählung unseres Systems endete am 06.01.2022. Mit der Folge, dass unser GPS ebenso wie unser AIS kein korrektes Datum mehr generieren konnten. Beim GPS war das erstmal nicht so tragisch, da die Position weiter sicher angegeben wurde. Aber das AIS weigerte sich fortan, unsere Schiffsposition zu senden. Das hatte zur Folge, dass wir auf den modernen Navigationssystemen für andere Schiffe unsichtbar waren. Und das natürlich auch für Anbieter wie Vessel Finder oder Marine Traffic. Immerhin, die Empfangseigenschaften blieben unbeeinträchtigt, wir konnten also andere Schiffe sehen und verfolgen. Aber für unsere Mitwelt waren wir unsichtbar, also inkognito unterwegs.

Unter Vollzeug (Genua, Fock, Groß und Besan) auf dem Weg zurück. Siziliens näher kommende Küste zeichnet sich schwach im Dunst ab.

Wieder in Marina di Ragusa zurückgekehrt erhielten wir von Paul von der Calista die entscheidenden Informationen, die uns bisher gefehlt hatten und deren Fehlen unsere Versuche, das AIS zu regenerieren bzw. mit einer neuen, aktualisierten und angepassten Software zu versehen, bislang zum Scheitern verurteilten. Inzwischen funktioniert das AIS wieder so, wie es soll, und wir sind wieder sichtbar und verfolgbar. Aber es gibt eine Lücke in allen uns verfolgenden Aufzeichnungen, die „maltesische Lücke“.

An dieser Stelle wollen und können wir schon einmal darauf hinweisen, dass wir Marina di Ragusa mit einem tränenden und einem lachenden Auge vor wenigen Tagen verlassen haben. Wir sind wieder unterwegs. Und das, wie gesagt, wieder verfolgbar 😉

Daher kommen diese Grüße vom Ankerplatz des Porto di Levante bei Vulcano

Martin und Anke

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