Carnaval in Santa Cruz und die Sardine

Carnaval in Santa Cruz und die Sardine

Ankündigung des Kinderkarnevals – man beachte die eindeutige Konditionierung kindlichen Verhaltens: Jedes der drei Kinder hat eine Talkumstreudose in der Hand.

Weiberfastnacht ist hier augenscheinlich kein Begriff, so war am vergangenen Donnerstag nichts los. Am Freitag dagegen wurde in Santa Cruz stattdessen der Dia de la Peluca begangen, der Tag der Perücken. Das bedeutet, ein jeder, der sich in die Stadt begibt und etwas auf sich hält, trägt Perücke. Na ja, sagen wir mal fast jeder. Unwissende Touristen fallen schon mal aus dem Rahmen. Auch darf man den Begriff der Perücke eher weit fassen. Die Übersetzung „Tag der Kopfbedeckung“ trifft die Erscheinungen, die man antrifft, besser. Am Sonntag findet dann der Dia de los Indianitos statt. Die Vorwegnahme der hiesigen Variante des Rosenmontags für die Kleinen. Die meisten von ihnen tragen an diesem Tag weiße Kleidung, angelehnt an die Kleidung der karibischen Oberschicht aus der zweiten Hälfte des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, und streuen im Rahmen eines Umzugs und natürlich auch davor und danach Talkum durch die Gegend. Das Talkum ist ausweislich der Beschriftung der Streubehälter kindergeeignet!

Kindergerechtes Talkumpulver in wahren Bergen. Gibt es im Supermarkt und auch an fast jedem Straßenstand. Tags drauf ist es dann die nicht kindgerechte Variante. Seltsam.
Und so sehen die Folgen aus: Die Kinder lieben es, sich gegenseitig einzupudern.
Dumm, wenn der Deckel der Puderdose abgefallen ist. Erst muss man das Zeug irgendwie wieder in die Dose bekommen, dann Deckel drauf und dann die anderen Kinder wieder einholen. Gut zu erkennen, dass der Pflasterbelag zunehmend aufgehellt wird und damit zunehmend rutschig wird. Talkum ist ein perfektes Schmiermittel, und eben auch ein Trockenschmiermittel.
Die Gehwege und Straßen sind weiß vom Talkum. Es spielt sich gut auf dem Boden und die Eltern zeichnen sich durch erstaunliche Gelassenheit aus. Meist sieht man sie gar nicht, erst auf den zweiten Blick.
Zunächst erschien es uns ungewöhnlich, aber die Karnevalisten waren ausgesprochen erfreut, fotografiert zu werden. Sie posierten umgehend, wenn sie Kamera oder Handy entdeckten, bedankten sich für das Fotografiert werden, oder baten um ein Foto mit ihren eigenen Handys.
Die fantasievollsten Kopfbedeckungen waren mehrheitlich den Frauen gelungen …
… auch wenn es Ausnahmen gab. Hier zwei für die Festlichkeiten angereiste Venezolanerinnen mit eher traditionellen Gauchita-Hüten. Unverkennbar: Sie wissen, wie man schöne Augen macht …
Und alle, ausnahmslos alle nahmen teil. Hier eine Eltern-Kind-Gruppe mit gelebter Inklusion. Unschwer zu erkennen, das Motto des Dia de la Peluca war Carnaval de Cine – Karneval des Kinos.
Wir sind auf zwei bekannte Gestalten getroffen 😉 (Foto: Conny Kraus)
Auf der Uferpromenade fingen uns Conny und Martin ab. Auch von uns wurde anlassgerechte Kopfbedeckung eingefordert.
Lösung Anke. Die Stadtmusikanten fanden erstaunlichen Beifall.
Martin mit mehr als 40 Jahre jüngerem Doppelgänger. Er hatte wirklich erstaunliche Ähnlichkeit mit mir auf alten Fotos. Nun fragt sich, ob er nach der Begegnung mit seinem gealterten Alter Ego noch zuversichtlich in die Zukunft schaut. 😉
Perückendominiertes Sein – mit viel Popcorn dank des Mottos Carnaval de Cine.
Grupo Atlantis
Es ist seltsam, bei allen Konzerten in meinen jüngeren Jahren waren wir nie so dicht an der Bühne wie bei verschiedenen Gelegenheiten dieser Reise.
Begegnung auf dem Rückweg in die Marina

Am Rosenmontag geht es dann richtig rund. Allerdings nicht so, wie wir es kennen. Man feiert mit der Fiesta de los Indianos die Ankunft der (vorwiegend in Kuba) zu Wohlstand gekommenen, superreichen Auswanderer der Insel bzw. die Ankunft von deren Nachkömmlingen. Mittelpunkt dieser Feier ist La Negra Tomasa, eine Parodie auf die Dienstmädchen, die die reichen Heimkehrer und Besucher begleiteten. Ansonsten ist jeder gut beraten, sich an diesem Tag möglichst hell, d.h. in weiß oder ganz hellen Naturtönen zu kleiden. Auch ist ein Hut hilfreich, um die Haare, mehr noch die Augen zu schützen, denn an diesem Tag fliegt Talkum tonnenweise durch die Luft. Eigentlich müsste man auch die Atemwege schützen, denn dieses „Puderfest“ ist eine Art kollektive Selbstverseuchung mit Feinstaub. Aber diesbezüglich sind wir ja hart im Nehmen und außerdem wollen wir ja mit den Einheimischen leben und natürlich auch feiern, also nichts wie rein in das Getümmel und den Talkumpudernebel. Ansonsten herrscht gute Stimmung, die meisten Menschen sind nicht nur hell sondern auch gut gekleidet, viele Damen tragen umfangreichen Perlenschmuck, und zwischendurch huschen hier und da Negritas umher. Der Rest sind daher einfach nur Bilder.

La Negra Tomasa, die offizielle, ist gelandet. Wir hatten erwartet, sie würde mit der nächsten Fähre anlanden, zumal sich Menschenmassen zum Hafen bewegten, doch mitnichten. Sie kam heimlich per Lieferwagen in den Hafen und plötzlich war sie da. Vom Hafen wird sie traditionell in die Stadt geleitet. Der Honorarkonsul von Kuba tauft den zentralen Platz der Stadt in die Plaza de Havanna um, und danach gibt es beim „Pulverfest“ kein Halten mehr.

Seit 1992, also seit mehr als dreißig Jahren wird die Negra Tomasa von ein und der selben Person verkörpert, Víctor Lorenzo Díaz Molina, genannt Sosó. Heute merkt man der zu einem Symbol gewordenen Verkörperung eines farbigen Dienstmädchens das Alter an, immerhin ist Víctor inzwischen 81 Jahre alt. Die Bewegungen und sein Tanz sind doch erkennbar müde, zumal er unter seiner Maske und Kleidung ganz schön ins Schwitzen kommen muss. Aber er bzw. sie gehört unverzichtbar zum Karneval von Santa Cruz de La Palma. Interessant auch, dass in diesem Jahr nach Angabe der Polizei etwa 60.000 Besucher, überwiegend von den anderen Inseln nach Santa Cruz gekommen sind. Die Fähren haben sogar einen Sonderfahrplan bedient. Zum Vergleich, Santa Cruz hat rund 15.500 Einwohner.

Zwei Damen aus der superreichen Oberschicht.

Auch wir sind vorbereitet – vergleiche auch Beitragstitelbild
Das meiste Talkum stammt aus Streudosen, doch es gibt auch schwere Talkumgeschütze. Die Menge feuert den Kanonier an, möglichst auf geöffnete Fenster zu zielen. Der hat aber ein Einsehen mit den armen Zuschauern auf den Balkonen und in den Fenstern, auch wenn er das Rohr mal in deren Richtung dreht.
Es gab viele Reiche, also auch viele Negritas. Hier wieder eine.
Und noch mehr von dieser Sorte, die meisten sind als Frauen verkleidete Männer.
Eine der Talkumkanonen hat sich entladen. Luft! …
… Röchel!
Anke erinnert sich an ihren Carnaval auf La Palma vor fast 30 Jahren und stürzt sich mit Freude und Leidenschaft ins Getümmel.
Jeder staubt jeden ein. Und hat Spaß dabei. Außer wenn es voll ins Auge geht, wie Martin geschehen …
… oder Steffi (Foto: Conny Kraus)
Hier und da machen sich Erschöpfungszustände breit.

Ach ja, den Aschermittwoch gibt es auf den Kanaren nicht. Daher wird auf La Palma weiter gefeiert bis zur „Beerdigung der Sardine“ am Samstag nach dem Puderfest, dem offiziellen Ende des Carnaval. Allerdings ist es in der Stadt mit Ausnahme des Rummels beim Hafen (Dom oder Kirmes für die, die den Begriff Rummel nicht kennen) nach dem Puderfest erst einmal ruhiger geworden.

Wo die Ursprünge der „Beerdigung der Sardine“ zu suchen sind, ist unklar. Es gibt verschiedene Erklärungsversuche, aber keine ist überzeugend. So nehmen wir das einfach mal hin wie es ist: Eine Sardine, die verstorben ist, fängt ziemlich schnell zu stinken an, besser man bringt sie zügig unter die Erde oder äschert sie ein und freut sich anschließend über die geruchsneutrale Luft.

Wir hatten die Sardine am anderen Ende der Stadt erwartet und angenommen, dass sie mit einem Trauerzug Richtung Hafen getragen werden würde. Doch wir fanden nichts am Ende der Stadt. Die Sardine, in Anlehnung an das Motto Carnaval de Cine in einer Popcorntüte steckend, wartete bereits am Hafen. Zum Gaudi einiger Kinder.
Während der Trauerzeit, also vom Nachmittag bis zur Verbrennung der Pappmaché-Sardine, bietet man an einer nahe gelegenen Grillstation ein paar Sardinen, Wein und Brot zum Mitnehmen an bis alles ausgegeben ist. So steht es auf dem Schild. Und tatsächlich ist alles kostenlos. Anke ordert.

Brot ist bereits aus, aber es gibt noch Rotwein und gegrillte Sardinen, die übrigens sehr lecker sind.

Martin und Conny mit Bier vom Nachbarstand, das bezahlt werden musste, und Anke mit Sardinenwein. Der andere Martin ist hinter dem Handy versteckt.
Natürlich treten auch bei dieser Gelegenheit diverse Bands auf.
Die Sardine wurde zwischenzeitlich auf den Strand gebracht, per Anhänger, wie profan, und nun ist sie entzündet. Ein Faszinosum für die Kinder. Alles sehr sicher gehandhabt: Im Dunkel stehen unsichtbar Feuerwehrmänner für den Fall der Fälle.
Das Ende der Sardine und damit des Carnaval.
Zum Abschluss ein Feuerwerk.

Eigentlich wollten wir noch die nächste, eine offenbar kubanische Band genießen, doch die benötigte für den Soundcheck derart viel Zeit, dass einige aus dem Publikum schon gingen. Wir schlossen uns an, denn morgen würden Leena und Carsten zu Besuch kommen. Da müssen wir früher aus den Federn.

Auch wenn es (fast) vorbei ist, an dieser Stelle noch ein paar verspätete karnevalistische Grüße von

Martin und Anke

PS.: Jetzt ist es schon der 17. Februar, der Tag nach der Sardine Ende. Und hier wird immer noch gefeiert! Wieder spielen diverse Bands und es gab wohl einen Kostümwettbewerb. Wir kommen nicht mehr mit.

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