Madeira – Höhen, Tiefen, Nebel …

Madeira – Höhen, Tiefen, Nebel …

Natürlich besteht der Aufenthalt auf Madeira nicht nur aus Wanderungen oder einem touristischen Programm. Ein mühseliger Aktivitätsschwerpunkt ist die mehrtägige Rüsselkäferbekämpfung. Wir entdecken derartige Einsiedler bevorzugt in unseren Nudelvorräten. Dickwandige Röhrennudeln sind besonders beliebt. In fast jeder dieser Nudeln stecken ein, zwei oder drei Käfer, die den harten Teig von innen zerfressen. Ein echter Tiefpunkt für den Küchenchef.

Rüsselkäferbekämpfung bedeutet, Schapp für Schapp, Stauraum für Stauraum ausräumen, vor allem wenn darin Lebensmittel gelagert sind, und dann jede Ecke, jeden Winkel, jede Packung genauestens untersuchen. Eine mühselige Angelegenheit. Hier ist gerade der Bestand unter einer der Salonkojen hervorgeholt, und genau hier finden wir auch die „verseuchten“ Nudelpackungen.
Und so sehen die Übeltäter aus. Etwa 5 bis 6 mm lang, mit einer rüsselförmigen Verlängerung des Kopfes an dem zwei Fühler sitzen, und natürlich ganz am Ende die Mundwerkzeuge.

Eine andere Tätigkeit, eher der filigranen Art, ist der Austausch der Druckknöpfe für die Schattenblenden an den Fenstern des Aufbaus. Wir hatten der Firma Sisails in Marina di Ragusa ausdrücklich vorgegeben, wie die Befestigungsschrauben für die Basis der Druckknöpfe beschaffen sein müssen. Wie sich mittlerweile herausstellte hat sie entgegen der Vorgabe völlig ungeeignete Schrauben verwendet, mit dem Ergebnis, dass die Basishülsen nicht halten, schlimmer noch: ihre Befestigung undicht wurde. Martin macht sich an die Arbeit, diese zu lösen und die Löcher wieder sorgfältig zu verschließen. Das Foto macht deutlich, dass Martin nicht gut auf Sisails zu sprechen ist. Die Sikaflexkartusche samt Presspistole lieh uns der freundliche Inhaber der hiesigen Chandlery Accastilage Diffusion.

Auch eine der Pflichtaufgaben. Anke säubert die „Windel“, unseren Schutz gegen Wellengeräusche am Heck. In dem Gebilde haben sich mittlerweile Seepocken festgesetzt. Also hat Anke die Windel mit kleinem Schrittmaß kräftig betreten, um die Pocken zu zerbröseln, und nun werden die Reste weggespült. Wegen der Tageshitze ist dies eine Arbeit für die Dunkelheit.

Ein anderer Schauplatz zeitigt ebenfalls Fortschritte. Dank Rolfs Unterstützung können wir erstmals und erfolgreich Testmails per Pactor und Ham-Radio, also Amateurfunk, versenden und empfangen. Jetzt fehlt nur noch die endgültige und vollständige Inbetriebnahme unseres Iridium-Systems. Dahinter verbirgt sich eine Satellitenkommunikation. Beides soll uns auf längeren Distanzen den Empfang von Wetterdaten und -prognosen erlauben.

Nachdem auch wir – wie all die anderen Crews schon zuvor – nach etwa einer Woche auf Madeira einen Mietwagen gebucht haben, gibt es eine wohlverdiente Arbeitspause. Die Tage sind nun nicht mehr mit Bootsprojekten belegt. Stattdessen stehen uns nun sechs Tage mit Ausflügen bevor. So ein Mietwagen muss schließlich genutzt werden, um wirtschaftlich zu sein! Wir kreuzen daher mehr oder weniger geplant die Küstenstraßen entlang, dringen in enge Täler ein, überwinden ungeahnte Höhen. Die neueren Straßen auf Madeira führen ständig durch irgendwelche Tunnel. Man fragt sich, wie die Menschen früher von A nach B gekommen sind. Das müssen halsbrecherisch enge Straßen oder noch früher halsbrecherische Pflasterwege und Pfade gewesen sein. In jedem Fall waren die Verbindungen im Vergleich zu heute ausgesprochen zeitaufwendig.

Auf einer der Fahrten kehren wir in dem Restaurant „O Arco“ ein. Anke testet erstmals die hiesigen Lapas = Gegrillte Napfschnecken.

Hier die Lapas in groß: Anders wie man erwarten würde, ist das Fleisch fest und herzhaft.
Das gesamte innere Gewölbe der Kirche in Sao Jorge wurde mit einer durchgehenden Malerei versehen. Sehr ungewöhnlich. Man steht staunend im Kirchenschiff und kann den Kopf nicht abwenden, so viel interessante Details gibt es zu entdecken.
Hier der annähernd gegenüberliegende Teil des Deckengewölbes.

An einem dieser Tage streben wir andere „Attraktionen“ an. Nicht weit weg von der Marina und für uns ein Muss, ist das Walmuseum in Caniçal. Die wenigsten wissen, dass auf Madeira bis in die Achtziger Jahre hinein Walfang betrieben wurde. Für uns ist das Museum, dass sich sowohl dem lokalen Walfang als auch den Walen und Delphinen selbst und ihrem Schutz widmet, hoch interessant. Doch dazu folgt ein gesonderter Blogbeitrag.

Wir finden einen weiteren, spannenden Aussichtspunkt, den Cabo Girão Skywalk bei Câmara de Lobos.
Der Boden besteht aus Gitterrosten und an anderen Stellen aus Panzerglasplatten und erlaubt einen feinen Blick nach unten. Bis zum Meeresspiegel – der blaue Fleck rechts unten im Foto – sind es schlappe 580 Meter.
Nicht minder spannend ist der Besuch der Rollbahn des Madeira Airport, auch Funchal Airport bzw. offiziell Cristiano Ronaldo International Airport genannt. Preisfrage: Warum die letztere Namensgebung? Die ursprünglich nur 1.600 m lange Rollbahn wurde im Jahr 2000 ein zweites Mal verlängert – auf über 2.700 m. Mangels sinnvoller Alternativen wurde die Verlängerung als Plattform auf 180 Betonstützen von 70 m Höhe errichtet. Andere Quellen geben andere Maße der Stützen an, von denen ein erheblicher Teil (logischerweise) in den Boden versenkt wurde. Im Ranking der gefährlichsten Flughäfen der Welt befindet sich dieser Airport unter den Top 10 und darf nur von Piloten mit einer sepeziellen Zusatz-Ausbildung angesteuert werden. Unter der Rollbahn befinden sich unter anderem eine Yacht-Reparaturwerft bzw. ein Hardstand, Sportplätze und weitere Erholungseinrichtungen. Der spärliche Platz auf der Insel muss halt genutzt werden.
Am Ende des ersten Tages lassen wir uns am letzten Kreisverkehr vor unserer Marina verleiten und steuern den Miradouro Sao Laurenço an. Ein lohnender Abstecher. Bei ruhigem Wetter können wir einen fast schon dramatischen Bllick auf Madeiras Nordostflanke werfen.

Nächster Tag. Wir fliegen mit Ruth und Rolf aus. Als wir unser erstes Ziel erreichen, den „Lorbeerwald“, sieht es noch sehr moderat aus. Doch das wird sich schnell ändern: Zum Schluss haben wir trotz geringer Entfernungen schon leichte Orientierungsprobleme, denn es zieht sehr dichter Nebel auf. Genauer, wir werden von Wolken eingehüllt.

Die Bäume im „Lorbeerwald“ – es handelt sich um den Stinkenden Lorbeer (Ocotea foetens), hier auch Madeira-Lorbeer genannt – sind uralt und von verwegener Gestalt. Sie ähneln alten Olivenbäumen und sind doch ganz anders. Der Name stammt von einem unangenehmen Geruch, den das frische Holz dieser Bäume verströmt. Im Lorbeerwald kann man jedoch nichts Unangenehmes bemerken geschweige denn riechen.
Das Wetter spielt perfekt mit, da es die Lorbeer-Bestände in wabernden Nebel einhüllt. Wir fühlen uns wie verirrt in einem Zauberwald.
Sehr zum Unwillen von Ruth muss ich, Martin noch schnell auf einen kleinen „Minigipfel“ klettern. Er reizt einfach, da er da ist, und da auch erkennbar ist, dass man an ihm hoch kommt. Der Unmut ist natürlich verständlich, da die Felsen nasser und rutschiger werden – der Nebel verdichtet sich zu einem feuchten Sprühen – und natürlich auch die Wanderer nasser werden. Wie man sieht, bin ich oben angekommen und wie man vermuten kann, auch heil wieder runter.
Ein weiterer Ausflug führt uns zum Botanischen Garten von Funchal, und man glaubt es kaum, es gibt eine Fülle botanischer Besonderheiten und Sammelstücke zu bewundern, und natürlich auch eine Sammlung der in Madeira heimischen Pflanzenarten.
Gelegentlich lädt sogar die Tierwelt des Botanischen Gartens zur Betrachtung ein.
Ansonsten gibt es überall etwas zu entdecken. Rolf und Anke.
Von besonderem Reiz ist das zum Botanischen Garten gehörende Museum. Es ist ein Museum wie aus unseren Kindertagen, also den Sechzigern. Da gibt es noch kein didaktisches Konzept, keine digitalen Präsentationen, keine ausführlichen Erläuterungen usw. Man geht rein und bewundert die schon Patina ansetzende Sammlung. Eigentlich müsste dieses Museum seinerseits unter Denkmalschutz gestellt werden.
Rolf, Ruth, Anke. Per Gondelbahn geht es vom Botanischen Garten zu Funchals Stadtteil Monte …
… dem Ortsteil, von dem aus die legendären Korbschlitten in verwegener Fahrt Richtung Tal gleiten. Damals, zur Zeit meiner Oma mütterlicherseits, sah es aus fast wie auf dem Fliesenbild – …
… und heute
Unmittelbar oberhalb des Startpunkts der Korbschlitten treffen wir auf die Wallfahrtskirche Nossa Senhora do Monte. In ihr befindet sich der metallene Sarkophag des letzten Monarchen von Österreich-Ungarn, Kaiser Karl I. Er lebte hier nach dem Ersten Weltkrieg in Verbannung bis zu seinem Tode am 1. April 1922.
Im Umfeld der Wallfahrtskirche begegnet uns etwas morbider Charme.

Es ist nicht ganz klar, wer auf die Idee mit dem Doppelgipfel gekommen ist. Ich war es garantiert nicht! 😉 Jedenfalls geistert diese Idee sicher im Kopf eines jeden Madeira-Wanderers herum. Und natürlich auch bei Thomas und Christine, bei mir, vielleicht auch bei Anke, die aber wegen ihrer Knieprobleme abwinkte und sich stattdessen für den Shuttle-Service zur Verfügung stellte. So folge ich schließlich Thomas und Christine. Zunächst gelangen wir per Auto fast bis an den Gipfel des Pico do Arieiro, dessen Schreibweisen variieren. Die letzten Meter sind uns verwehrt, da der obere Parkplatz überfüllt ist. So gibt es eben 600 Meter mehr zu laufen, in die auch ein paar Höhenmeter inkludiert werden müssen – noch sind wir frisch – um den Startpunkt beim Pico do Arieiro zu erreichen. Wir erklimmen noch schnell dessen höchsten Punkt, 1818 m ü. NN, und machen uns dann zügig auf den Weg. Zu viele Menschen befinden sich auf dem Wanderweg. Anke begleitetet uns ein paar hundert Meter und gibt dann unseren Fahrzeughopper.

Der Weg führt durch eine extrem steile, wechselhafte und schroffe Landschaft. Der gerne fotografierte schmale Grat ist nicht so dramatisch wie oft beschrieben und er ist auch sehr kurz. Eher unangenehm ist, dass die Strecke zunächst über schrecklich viele Stufen bergab führt. Was bedeutet, das alles müssen wir wieder hoch. Wobei sich die Stufen mehr auswirken als die puren Höhenmeter. Ächz. Schön ist dagegen die Passage von fünf oder sechs Tunneln unterschiedlicher Länge. In einem Tunnel kommt es zur Kollision. Geblendet von der Stirnlampe eines Entgegenkommers passiere ich das folgende schwarze Loch und stoße heftig gegen etwas sehr voluminöses, zunächst erstaunlich tief nachgiebiges und in eine Drehbewegung übergehendes Etwas. Gegen Ende des Aufprall- und Energieabsorptionsvorganges entringt sich dem Etwas ein Stöhnlaut. Offenbar bin ich mit einem ausgesprochen gut gepufferten weiblichen Wesen kollidiert. Der anschließende Anstieg ist sehr anstrengend, vor allem die Treppen, die kein ergonomisch zuträgliches Schrittmaß besitzen. Ächz. Sie als Leiter, vor allem als „Leiter des Todes“ zu bezeichnen ist dennoch ein Witz. Andererseits, ich quäle mich mühsam hinauf, während Thomas und Christine frisch wie eh und je nach oben zu schweben scheinen. (Gestöhnter Neid).

Thomas und Christine haben mich (unbemerkt) abgehängt. Sie sind schon einen ganze Felsklotz voraus, für mich wenigstens die Chance für ein Foto.
Trotz der vielen Wanderer habe ich Glück und mir begegnen mehrere Rothühner (Alectoris rufa), Verwandte unserer Rebhühner.
Es geht unübersehbar rauf und runter, lange Zeit überwiegend abwärts, was bei mir nach einiger Zeit ausgeprägte Vorfreude auf die zweifellos zu erwartende Strecke bergauf aufkommen lässt. Und beim Blick auf die vielen, die uns begegnen – ich verzichte aus gutem Grunde die Entgegenkommer zu zeigen – graut es mir bereits. Hier natürlich völlig entspannt ins Licht tretend Thomas vor mir.
Ohne Worte (Foto: Christine Bogdain)
Ohne Worte (Foto: Christine Bogdain)
Vor Jahren hat es ein Feuer gegeben. Die toten Bäume sind immer noch beeindruckend, auch wenn die Vegetation sich bereits gut erholt hat. Jenseits des Pico Ruivo folgt eine endlose Wolkenschicht. Für uns bleibt es aber weiter sonnig.

Dennoch lohnt sich die Wanderung in jedem Fall auch für weniger fitte Zeitgenossen. Sie bietet tolle und dramatische Aussichten. In unserem Fall ein wunderschönes Wolkenmeer unter uns. Die ganze Zeit scheint die Sonne und während es in der Marina kräftig weht, lässt sich hier über den Wolken kein Lüftchen bemerken.

Beim Casa do Abrigo do Pico Ruivo treffen wir uns mit Anke. Hier gibt es in einer Hütte auch frisches Quellwasser, mit dem wir unsere Reserven auffüllen können.  Mein Flüssigkeitsverbrauch ist heute enorm. Nach angemessener Pause geht es noch hoch auf den Pico Ruivo, den mit 1862 m ü. NN höchsten Berg Madeiras. Ächz und Doppelächz.

Anke hat das Auto umgesetzt und besteigt mit uns den Pico Ruivo. Uns fasziniert die ganze Zeit der Blick auf das unter uns sich erstreckende Wolkenmeer (Foto: Christine Bogdain)
Irgendein Miradouro, den wir auf der Rückfahrt noch besuchen. Das Ding entpuppt sich als Nebengipfel ohne viel Aussicht, da das Wolkenmeer nach und nach steigt und die Aussichten reduziert. (Foto: Anonymus)
Das Wolkenmeer. Im Grunde gibt es nicht viel Unterschied zur Meeresküste.
Erneut am Miradouro Sao Laurenço, diesmal in Begleitung von Ruth und Rolf
Dort gibt es auch einen „Kiosk am Ende der Welt“, der uns mit jedem Besuch mehr begeistert.
Nach all den Ausflügen freut sich die ganze Truppe, die sich in der Marina Quinta do Lorde zusammengefunden hat, wenn es wieder einen gemeinsamen Grillabend gibt. Hans mit Martin an den bewährten Cobb-Grills. (Foto: Christine Bogdain)

Es ist schon lange her und fast schon vergessen – doch dieser Tage wurden wir auf den Podcast bei Mare Radio angesprochen. Daher bewerben wir den Podcast „Wie segelt man um die Welt?“, den Nikolaus Gelpke (Mare Verlag) und Katrin Krämer (Radio Bremen) mit uns Ende des vergangenen Jahres aufgezeichnet haben, an dieser Stelle noch einmal. Auf diesen Link klicken, dann nach unten scrollen, den richtigen Podcast auswählen und reinhören.

Zu guter Letzt wollen wir auf die Möglichkeit eines Abos hinweisen: Wer in Zukunft keinen Beitrag mehr verpassen will, kann unseren Blog abonnieren, und das geht einfach über die Seite Kontakte, oder indem man – noch einfacher – hier klickt.

Liebe Grüße aus Madeira

Martin und Anke

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