Mar del Plastico – Blick hinter die Folie

Mar del Plastico – Blick hinter die Folie

Um Missverständnissen vorzubeugen: Das Foto ist durch die Windschutzscheibe unseres Mietwagens aufgenommen und wir befinden uns auf einer Landstraße, nicht etwa auf einer Straße eines landwirtschaftlichen Betriebs. Man könnte sagen, wir sind eingetaucht in das Mar del Plastico. Aber wieso steht da BIO???

Wir hatten ja bereits im Blogbeitrag „Wind“ vom 15. Februar auf die Costa del Plastico hingewiesen, in anderen Quellen auch gerne als Mar del Plastico bezeichnet. Und als uninformierte aber selbstverständlich umweltbewusste Mitteleuropäer hat uns dies und die damit verbundene Landschaft etwas befremdet. Andererseits sind wir ja mit einer guten Portion Neugier gesegnet, und da keimte schnell der Wunsch auf, man müsse doch mal einen Blick in ein solches „Invernador“, auch Greenhouse oder auf Deutsch Foliengewächshaus werfen.

Überraschenderweise ist dies sogar problemlos möglich. Von der Touristeninformation mit einem Prospekt und einer Telefonnummer versehen, organisierte Anke einen Besuch bei dem Betrieb Clisol, nicht weit von Almerimar entfernt. Und damit stießen wir auf Lola Gómez. Lola ist Eigentümerin und treibende Kraft des Gemüseanbaubetriebs Clisol. Da es Anke gelungen war, genügend Interessenten zusammen zu bringen – auch wenn niemand so richtig wusste, was uns erwarten würde – wurden wir von Lola Gómez persönlich geführt.

Das mag jetzt wie Werbung klingen, soll es aber nicht sein. Wir wollen jedoch dem, der an der Materie interessiert ist, die notwendigen Kontaktdaten geben, so dass er oder sie sich selber informieren kann. Telefon: 0034-950407531 / Handy: 0034-843385 / Email: clisol@clisol.com – Besuche in Lolas Betrieb sind nach Absprache möglich.

Etwas zum Überblick

Aktuell nehmen Foliengewächshäuser / Invernadores rund 32.000 ha Fläche der Provinz Almeria ein, in ganz Spanien sind es rund 80.000 ha. Die erstgenannte Fläche entspricht 3,5 % der Gesamtfläche der Provinz. Bewirtschaftet werden diese Kulturen von rund 15.000 Betrieben, das bedeutet rechnerisch eine mittlere Betriebsgröße von 2,13 ha. Wir haben es also mit einer recht kleinbäuerlichen Sparte zu tun. Lolas Betrieb liegt mit 2,5 ha geringfügig über dem Mittelwert. Begonnen hat der Gartenbau mit Foliengewächshäusern vor etwa 60 Jahren. Die wichtigsten kultivierten Gemüse sind Paprika, Tomaten, Gurken, Auberginen, Zucchini und Wassermelonen. Die Produktion findet im Winterhalbjahr statt, im Sommer ist es für den Gemüseanbau zu trocken und vor allem zu heiß. Und damit ist bereits ein erstes mitteleuropäisches Fehlurteil entlarvt. Wie oft heißt es: „Muss man denn ein Sommergemüse auch frisch im Winter verlangen?“ Was bei uns ein Sommergemüse ist, kann in anderen Regionen also nur im Winter angebaut werden. So gesehen passen Nachfrage und Angebot sehr gut zusammen. Natürlich kann man jetzt einwenden, dass die Tomate aus Spanien im Winter auch Transport bedeutet, mit allen Begleiterscheinungen. Das stimmt, zweifellos. Andererseits: Die heutigen Gemüsekulturen haben einen vor Jahrzehnten gar nicht vorstellbaren Wohlstand in eine der ehemals ärmsten Gegenden Europas gebracht. In der Provinz Almerimar arbeiten in den Invernadores rund 40.000 Angestellte. Eine zunächst gar nicht so groß erscheinende Zahl. Hinzurechnen muss man natürlich die im Betrieb aktiven Familienangehörigen. Dazu kommen die vielen Menschen, die in Zulieferbetrieben, Forschung (ein ganz wichtiger Aspekt) und natürlich auch im Bereich der Vermarktung und dem Transport ihr Auskommen finden.

Mar del Plastico: Die Foliengewächshäuser erstrecken sich über die ganze Niederung zwischen dem Mittelmeer und den Hängen der Sierra Nevada.
Das Mar del Plastico zwischen Adra und Aguadulce von oben gesehen. Es ist schon eindrucksvoll, dass man diese Kulturen auch aus der Satellitenperspektive, also dem Weltraum, problemlos ausmachen kann. Auffallend, dass sich die Gewächshauskultur inzwischen auch in höher gelegene Ebenen ausdehnt, gut erkennbar bei den Ortschaften Celin, Dalias und Berja. (Quelle: Google Earth, Datengrundlagen SIO, NOAA, U.S. Navy, NGA, GEBCO, Image Landsat/Copernicus. Abrufdatum: 11.04.2023)

Ursprünge

Eingeführt wurden die Foliengewächshäuser, da die meisten der im südlichen Andalusien möglichen Kulturen Windschutz benötigten. Das mag im ersten Moment überraschen, aber es ist tatsächlich so. Auch wir merken seit unserer Ankunft in Almerimar die Intensität der Sonneneinstrahlung einerseits, andererseits aber die auszehrende Wirkung des Windes, denn die Luft ist in den ersten Aprilwochen dieses Jahres nach wie vor recht kalt. Im Winter liegen die durchschnittlichen Temperaturen bei 6 – 8°C, was bei häufigem und stetigem Wind zu niedrig für einen Gemüseanbau ist. Man muss bedenken, dass die hiesige landwirtschaftliche Produktion überwiegend im Winter stattfindet, d. h. von November bis April. Im Sommer ist es zu trocken und zu heiß. Schnell wurde erkannt, dass mit Folienwänden allein zwar ein Windschutz erreicht war, aber mit zusätzlichem Dach, also richtigen Gewächshäusern, die Temperatur im Inneren mehrere Grad über der Umgebungstemperatur lag, was für die Kulturen förderlich war.

Zwischen 2005 bis 2007 erfolgte bei den meisten Betrieben der Wechsel zu biologischer Produktion, Folge einer Krise: Durch das Aufbringen von Mist („manure“) war es in einigen Betrieben Almerimars zu einer Verseuchung mit Keimen gekommen. Mehr oder weniger zeitgleich wurde die Verwendung eines verbotenen Insektizids auf Paprika aus der Provinz festgestellt. In der Folge nahm der Handel in Mittel- und Nordeuropa kein Gemüse und Obst aus der Provinz Almerimar mehr ab. Diese wirtschaftliche Katastrophe löste bei vielen Betrieben ein Umdenken und die Umstellung auf biologische Produktion aus. Nur wenige gingen allerdings den Weg einer „organisch-biologischen“ Produktion. Biologische Produktion bedeutet für Lola und ihre Berufskollegen den Verzicht auf Chemie. Also keine chemische Schädlingsbekämpfung, keinen Kunstdünger. Stattdessen erfolgt die Verwendung von Kompost, kokosbasierten und anderen biologischen Substraten sowie der Einsatz von biologischen Methoden der Schädlingsbekämpfung. Wieder ein Vorurteil widerlegt: Die Foliengewächshäuser bedeuten mitnichten eine auf chemischen Grundlagen beruhende „Gemüseindustrie“. Sie lassen sich ohne weiteres auch mit einer biologischen Bewirtschaftung verbinden.

Bei der Umstellung auf biologische Produktion wurde jedes Gewächshaus einer vier- bis fünftägigen Säuberung unterzogen und prompt stellten sich die „insects“ ein, die Schädlinge. Es bedurfte erheblicher Zeit und Anstrengung, bis man funktionierende Routinen der biologischen Schädlingsbekämpfung entwickelt hatte. Die Umstellung hatte übrigens einen großen Einfluss auf die Arbeitsverhältnisse in den Invernadores. Man war nicht mehr dem allgegenwärtigen Gestank und auch nicht den Wirkungen der chemischen Mittel ausgesetzt.

Der Himmel hängt nicht voller Geigen sondern voller Tomaten. Wir befinden uns im ersten, dem „traditionellsten“ Gewächshaus, in dem klassisch produziert wird.
Hans, Antje, Geli und Anke hören aufmerksam den Erläuterungen von Lola – rechts hinter dem Grün versteckt – zur klassischen biologischen Produktion zu. Klassisch bedeutet, dass die Tomaten in diesem Gewächshaus auf „echtem“ Boden kultiviert werden.

Heutige Produktion

Heute haben sich die Verhältnisse in den Foliengewächshäusern gegenüber dem Beginn vielfach verändert. So wurde erkannt, dass die CO2-Konzentration in den Gewächshäusern zu niedrig wurde, da sich in ihnen aufgrund des pflanzlichen Stoffwechsels ein O2-Überschuss ergab. Ventilation war daher wichtig, um den Pflanzen das für ihren Stoffwechsel und damit das Wachstum notwendige CO2 zur Verfügung zu stellen. So wurde bei den meisten ein ausgeklügeltes System eingerichtet, mit dem man die Seiten der Häuser je nach Bedarf schließt oder durchlässig macht, und auch Lüftungsklappen in den Dächern öffnet oder schließt.

Die Foliendächer werden zweimal im Jahr geweißt: „plastic white wash“. Das bedeutet, im März und noch einmal im Mai oder Juni wird die Folie gegen die Hitze mit einem Kalkanstrich versehen. Das Dach nimmt in der Folge einen Teil der Lichtstärke bzw. -intensität. Die Säuberung erfolgt dann im September. Die Folien bestehen heute weitgehend aus recyceltem Material und Lola achtet darauf, dass ihr gesamter Kunststoffabfall ins Recycling gelangt und recycelte Produkte verwendet werden. Auch alle Stühle und Packkisten im Betrieb bestehen aus recyceltem Kunststoff.

Die Folien der Gewächshäuser schützen vor zu intensiver Sonneneinstrahlung, halten bei kühlen Winden und in den Nächten die Wärme im Innern zurück. Gegen Überhitzung und zu hohe CO2-Konzentration hilft ein ausgeklügeltes Belüftungsystem. Im Bild oben ist erkennbar, dass im First die Belüftungsklappe geöffnet ist.

Im Verlauf der Zeit wurde die Wasserversorgung immer effektiver und damit sparsamer, berichtet Lola. 1981 wurde die Tröpfchen-Bewässerung eingeführt. Dann erkannte man, dass die Wasserspende aus den Bergen und Grundwasser auf Dauer nicht ausreichend sein würde und stieg in erheblichem Umfang in die Nutzung von Seewasser ein, das in Entsalzungsanlagen aufwendig gewonnen werden muss. Lola ist, wie andere Betreiber auch, von diesem Weg nicht angetan. Zum einen ist die Produktion des Wassers teuer, zum anderen enthält das Restwasser neben einer erhöhten Salzkonzentration auch Mineralstoffe, die ungenutzt wieder ins Meer geleitet werden obwohl man sie besser nutzen sollte bzw. könnte. Sie hat ihren Betrieb daher auf eine ausgeprägte Kreislaufbewirtschaftung eingestellt. Sie verwendet kein Wasser aus Entsalzungsanlagen und achtet auf weitgehende Minimierung von Verdunstungsverlusten. Auch verfolgt sie interessiert die Forschung an Methoden einer gezielten Wurzelbewässerung, was den Verlust durch verdunstendes Wasser weiter reduzieren würde. Bei den neuesten Verfahren wird dazu an der Wurzel jeder einzelnen Pflanze (!) der Feuchtegehalt gemessen und das Wasser bedarfsgenau zugegeben.

Ein Klassiker des hiesigen Gemüseanbaus, die Tomate, hier die Sorte Ochsenherztomate „Huevo de Torro“. Eine Fleischtomate, die von Größe und Gestalt tatsächlich Ähnlichkeit mit einem Ochsenherz hat. Im Mittelmeerraum weit verbreitet, wird sie in Deutschland wegen ihrer Transportempfindlichkeit nur selten angeboten. Sie wird grün gepflückt und erlangt innerhalb einer Woche ihre volle Reife.
Zur Abwechslung eine tropfenförmige Variante der Tomate.

Ursprünglich wurde organisches Material in Form von Mist verwendet, was aber zu einer Nitratbelastung des Grundwassers führte. Später wurde auf Kompostwirtschaft umgestellt, so dass die Nitratbelastung deutlich reduziert werden konnte. Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung von Substraten, die auf Kokosfasern beruhen.

Bei der heutigen Produktionsweise vergehen etwa 50 Tage zwischen Blütezeit und Ernte der Kulturen, wobei es da natürlich Unterschiede gibt, je nachdem, um welches Gemüse es sich handelt. Auch werden Fruchtfolgen kultiviert, beispielsweise folgen Zucchini auf Paprika.

Lola beschäftigt wie fast alle der landwirtschaftlichen Betriebe mehrere marokkanische Arbeiter, von denen einige schon seit über zwanzig Jahren angestellt sind. Einige von ihnen leben inzwischen in eigenen Häusern, nur wenige zur Miete. Ein Teil der Kinder „ihrer“ Marokkaner studieren inzwischen, worauf nicht nur deren Eltern, sondern auch Lola stolz ist. Als im Rahmen der Lehmann-Krise um 2008 herum plötzlich spanische Arbeiter vor ihren Türen standen und es die Forderung gab, die Marokkaner zugunsten einheimischer Arbeitskräfte zu entlassen, hat sie sich geweigert. Sie fühlte sich ihren marokkanischen Mitarbeitern gegenüber verpflichtet, und überdies hatte vorher schon lange kein Spanier mehr in der Landwirtschaft arbeiten wollen. Ergänzenden Arbeitskraftbedarf gibt es natürlich in der Erntezeit, aber dabei handelt es sich nur um Jobs für wenige Tage. Nicht anders als bei uns in Deutschland, beispielsweise bei der Spargelernte. Es kann nicht verschwiegen werden, dass es auch Betriebe gibt, in denen Afrikaner unter unwürdigen Bedingungen leben und arbeiten. Schwarze Schafe, sagt Lola, aber das sei keinesfalls Normalität.

Die tägliche Arbeitszeit richtet sich nach der Jahreszeit und nach der angebauten Frucht. Teils gibt es nahezu zusammenhängende Acht-Stunden-Tage mit nur einer halbstündigen Mittagspause, dann wieder morgendliche und abendliche Arbeit, wenn es tagsüber in den Greenhouses zu warm wird.

Kleine schwarze Tomaten. Bei den reifen (links) ist der Blattgrund leicht rötlich verfärbt, sind sie unreif (rechts), ist er noch grün. Leider haben wir vergessen, den Namen dieser Sorte zu notieren.

Ein Invernador

Beim Blick auf ein modernes Foliengewächshaus fällt in den meisten Fällen auf, dass es an den Seiten zwei verschiedene Folien gibt. Ein weitgehend luftdichtes, helles Plastikgewebe und ein weiteres „durchlässiges“ Netzgewebe („mesh“). Das dichte Gewebe wird tagsüber in Abhängigkeit von Wind und Wetter mehr oder weniger abgesenkt um die Belüftung des Gewächshauses zu fördern und abends wieder angehoben, um den Windschutz zu verbessern und die Wärme zu halten. Das mesh lässt die Luft zirkulieren, hält aber das Ungeziefer draußen.

Man betritt das Gewächshaus durch eine Schleuse. Nachdem man die Eingangstür hinter sich geschlossen hat, verbringt man eine gewisse Karenzzeit in der Schleuse, bevor die Tür zum Inneren geöffnet wird. Gleich eingangs der Schleuse muss man einen feuchten Bodenstreifen queren, der zur Desinfektion der Schuhe dient. An den Wänden der Schleusen hängen gelbe und blaue Insektenfallen, Tafeln, die mit einem Kleber beschichtet sind. Gelb ist eine attraktive Farbe für die meisten Insekten und lockt daher auch die meisten Schädlinge an, blau wirkt vor allem gegen Trips. Das korrespondiert mit unserer Feststellung, dass Gelb die bei weitem häufigste Blütenfarbe in der umgebenden Landschaft ist, mit deutlichem Abstand gefolgt von Blau.

Nur durch eine Schleuse mit Schuhdesinfektionsbecken (unmittelbar hinter Lola) geht es in das Gewächshaus. Anders ist das Betreten nicht möglich. Während der Karenzzeit in der Schleuse folgen wir dem nächsten von Lolas Vorträgen. Sie ist sichtbar in Ihrem Element.

Die Bauhöhe der Gewächshäuser ist mit der Zeit gestiegen. Auch heute gibt es natürlich noch große Unterschiede, aber Firsthöhen von fünf oder sechs Metern sind keine Seltenheit und fördern die Ausgeglichenheit des inneren Klimas.

Die Kulturen sind in Reihen ausgerichtet, was bei einer rationellen Produktion natürlich nicht verwundert. Für Tomaten und Paprika gibt es Kletter- und Rankhilfen. Man gibt sich viel Mühe, die Pflanzen so zu lenken, dass eine körperlich wenig anstrengende und gesunde Ernte möglich ist. So sollen die Tomaten in einer Höhe reifen, bei der sie von einem auf Schienen rollenden Erntekarren im Sitzen gepflückt werden können. Lola führt dies natürlich gerne vor.

Ebenso gerne demonstriert sie, wie sie mit einer schlichten Handkurbel mühelos auf einer Länge von 40 m die Ventilationsöffnung des Daches öffnen und wieder schließen kann.

In den Invernadores, die wir besichtigen, werden die unterschiedlichsten Tomatensorten, verschiedene Paprika und als Fruchtfolge auf die Paprika Zucchini angebaut. Für die Paprika wird in die Gewächshäuser eigens eine zweite Folienschicht eingezogen, um die Sonneneinstrahlung weiter zu reduzieren: das sogenannte double housing.

Lola stellt den auf Schienen laufenden Erntekarren vor. Zur Zeit wird nicht geerntet, sonst stände in der Aussparung neben ihr ein Kiste, aus recycelten Kunststoff natürlich.
Mit einer einfachen Handkurbel hat Lola die Belüftungsklappe am Dach des Gewächshauses geöffnet. Auf einer Länge von 40 m gleichzeitig. So ein modernes Foliengewächshaus ist ein erstaunlich ausgeklügeltes, technisches System.
Gut zu erkennen ist das sogenannte double housing. Links Paprikakulturen, der Rest sind Zucchini.
Eine Zucchini mit Blüte und Frucht von Nahem gesehen. Man sieht auch die Styroporboxen mit dem Kultursubstrat. Das stammt ganz ökologisch aus Kokosfasern und bei dieser Art der Kultivierung in Kombination mit bedarfsorientierter Wasserspende ist der Wasserverbrauch auf ein absolutes Minimum reduziert. Dies revidiert ein weiteres Vorurteil, das pauschal besagt, die Gemüseproduktion in den Foliengewächshäusern in der Provinz Almerimar verbrauche Unmengen Wasser.

Schädlingsbekämpfung und der Einsatz von Nützlingen

Große und wiederkehrende Herausforderung in der Gewächshauskultur ist der Befall mit Schädlingen, von denen vor allem Blattläuse, Tripse und die Weiße Fliege besonders problematisch sind. 

Die biologische Schädlingsbekämpfung verzichtet auf den Einsatz von Giften und anderen chemischen Wirkstoffen und nutzt stattdessen verschiedene Nützlinge. Natürlich werden auch chemisch hergestellte Stoffe genutzt, doch dabei handelt es sich um Pheromone, Geruchsstoffe, die als Lockmittel dienen.

Lola erläutert die unterschiedlichen Gruppen der Nützlinge:

  • Unmittelbare Fressfeinde
  • Parasiten
  • Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, entomopathogene Nematoden)

Zu ersteren gehören beispielsweise bekannte Arten wie Marienkäfer und Wanzen (Orius-Spezies), Raubmilben wie Phytoseiulus persimilis und Amblyseius swirskii sowie verschiedene Spinnenarten. Zu den Zweipunkt-Marienkäfern (Adalia bipunctata) ist anzumerken, dass diese in Europa ursprünglich weitverbreitete Art inzwischen vom Aussterben bedroht ist. Die Zucht für die Schädlingsbekämpfung ist daher in gewisser Weise ein Beitrag zum Erhalt der Art. In der zweiten Gruppe werden vor allem Schlupfwespenarten genutzt. Aphidius colemani beispielsweise ist eine nur 2,0 – 2,5 mm große Schlupfwespen-Art, die einen großen Wirtskreis aufweist. Sie parasitiert über 40 Blattlaus-Arten. Für die dritte Gruppe benennt Lola als Beispiel die Nematoden. Hier wird auf den Boden, das Wachstumssubstrat der Gemüse, eine Sandschicht aufgebracht, die mit Nematoden versetzt ist. Diese befallen sodann wieder die Schädlinge.

Die Anwendung dieser lieben Tierchen ist eine Wissenschaft für sich. Je nach Art steht nur ein bestimmtes Zeitfenster (Lebenszeit) für den Nützling zur Verfügung, sie müssen also  zielgenau ausgebracht werden oder sich zur rechten Zeit reproduzieren. Oder es besteht zum Zeitpunkt des Schlüpfens der Nützlinge oder auch mal zwischendurch kein ausreichendes Futterangebot, d.h. es gibt nicht genug Schädlinge. In diesen Zeiten muss zugefüttert werden! So werden die Wanzen beispielsweise zusammen mit Spinnen „gemixt“ ausgesetzt, die als Futter für die Wanzen dienen, wenn die Schädlinge noch kein ausreichendes Nährstoffangebot darstellen.

Kultivierung in Reih und Glied. Hier wachsen Zucchini als Folgefrucht, nachdem die Paprika abgeerntet sind. Auch in diesem Gewächshaus hängen überall die gelben und blauen Klebfallen. Und man kann einen von Lolas Angestellten bei der Arbeit sehen. Dazu noch eine Anmerkung, sicher wird es den einen oder anderen Betrieb geben, auf dem illegal eingewanderte Afrikaner unter miesesten Bedingungen arbeiten und vielleicht auch leben. Doch das zu verallgemeinern bedient lediglich ein Vorurteil. Die Wirklichkeit ist deutlich differenzierter zu betrachten.

Ein anderes Problem trat beim Kampf gegen die Blattläuse auf: In den Gewächshäusern vermehrten sich Ameisen und verteidigten die Schädlinge gegen die Nützlinge. Klar, schließlich ist das zuckrige Sekret der Blattläuse Manna für die Ameisen. Das lässt eine Ameise sich nicht einfach wegnehmen. Man löste dies Problem, indem man den Ameisen ein paralleles Futterangebot machte: Zuckerlösung auf Papier, so dass sie die süßen Ausscheidungen der Blattläuse nicht mehr benötigten und deren Verteidigung aufgaben. Merke: Auch Ameisen sind faul.

Insgesamt findet rund um Almerimar sehr viel Forschung für den biologischen Landbau und die erforderliche Schädlingsbekämpfung statt. Als Beispiel erläutert Lola die Probleme des Einsatzes von Hummeln. Diese werden eingesetzt, um in den Gewächshäusern die Bestäubung zu sichern. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass die Tiere zwar eifrig Pollen sammelten und dabei auch Blüten bestäubten, aber in großer Zahl vor der Ankunft in ihrem Bau vor Entkräftung starben. Sie fanden ihr Nest einfach nicht schnell genug. Wie sich herausstellte, hatten die Hummeln aufgrund der starken UV-Einstrahlung „Seh-“ und damit Orientierungsprobleme. Abhilfe erreichte man durch den Einsatz von Dachfolien, denen UV-filternde Additive beigesetzt wurden (Lola nennt es fotoselektiver Kunststoff). Zusätzlich bekam jeder Hummelstamm ein individuelles Nest mit individuellem Eingangsdesign und einem dahinter leuchtenden UV-Locklicht. Damit war das Problem weitgehend gelöst. Dieses Beispiel zeigt aber deutlich die Herausforderungen, die mit dieser Art der Landwirtschaft verbunden sind.

Lola mit einer Hummellieferung. In dem Karton befindet sich ein Hummelnest. Die Hummeln sollen die Blüten bestäuben.

Auch Spinnen sind gern gesehene Gäste im Gewächshaus. Sie reduzieren die Schädlinge und dienen, wie gesagt, manchem Nützling als Zwischenmahlzeit. Um sie bei der Ernte oder bei bestimmten Arbeiten möglichst zu schonen, schüttelt man die Pflanzen einer Reihe an einem Ende. Diese Bewegung läuft wie eine Welle durch die ganze Pflanzreihe, für die Spinnen ein Signal, sich zurückzuziehen. Dann wird geerntet. Zerstörte Spinnennetze werden von den Tieren schnell wieder aufgebaut. Das spiele keine Rolle.

Chemie kommt nur in der bereits beschriebenen Form zum Einsatz: In den Pheromonfallen gegen Motten und Falter und als Klebstoff bei den Klebefallen.

Viel Wandel in kurzer Zeit

Gerne beschreibt Lola den Wandel, den es in der Provinz Almeria im Laufe der Jahrzehnte gegeben hat. Zur Zeit ihrer Großeltern war es üblich, dass Kinder ab 11 nicht mehr in die Schule gingen, sondern in der Landwirtschaft mitarbeiteten. Die Provinz war eine sehr arme Gegend. Mitarbeit der Kinder war völlig normal und üblich, einen Begriff wie Kinderarbeit gab es nicht, und er wäre auch nicht verstanden worden, denn es ging für die Menschen im Grunde um das Bestehen der Familie, oder wie Lola sagt, um „survival“, um das Überleben. Die ersten greenhouses trugen vor allem dazu bei, das tägliche Essen der bäuerlichen Familien zu sichern. Vor 40 Jahren gab es in der Familie ihrer Eltern kein einziges Buch, man war wegen einer nur rudimentären Schulbildung fast noch Analphabet. Lola konnte immerhin bis zum 14. Lebensjahr in die Schule gehen. Ihre Karriere ist vor allem ihrem Charakter, ihrer Neugier und Wissbegierde und ihrer Unerschrockenheit geschuldet. Sie ist zu weiten Teilen Autodidaktin, hat sich auf diese Weise ein enormes Wissen und beeindruckende Fähigkeiten angeeignet.

Die Kinder ihrer Generation studieren heute häufig. Früher stand bei den emporstrebenden Landbewohnern eine Karriere als Anwalt oder Doktor hoch im Kurs, lange wollte niemand mehr in der Landwirtschaft bleiben. Heute ist, anders als noch vor wenigen Jahren, das Agronomiestudium hoch angesehen und sie ist stolz, dass ihre beiden Söhne diesen Berufsweg eingeschlagen haben.

Es erinnert uns ein wenig an die Geschichte der Moorkolonisation: „Dem ersten der Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot“. Von einer armen bäuerlichen Existenz zu einem modernen, biologischen und ökonomisch erfolgreichen Betrieb. Lola beherrscht nicht nur ihr landwirtschaftliches Handwerk sondern auch alle Aspekte der Vermarktung sowie der Öffentlichkeitsarbeit. Hier werden gerade Verkostungsteller belegt.
Der Verkostungstisch ist gerichtet. Hier muss – sorry Holland – noch ein Vorurteil beiseite geschoben werden: Alle angebauten und hier aufgrund der Saison gerade verfügbaren Tomatensorten, die Paprika und die Gurken sind ausgesprochen schmackhaft. Unverkennbar, dass Lola Marketing beherrscht. Warum auch nicht. Nach der Führung kann man ihre Gemüse und auch Folgeprodukte in Gläsern erwerben, z. B. getrocknete Früchte oder Saucen. Auf dem Foto: Hans, Anke (schaut weg), Gundula, Geli und Antje.

Influencer

Lolas eigene Karriere hat ihr zahlreiche Preise eingetragen, auch weil sie in vielfach Wegbereiterin war und früh erkannt hat, dass man viele Dinge und Vorgänge ebenso wie eigene Anliegen sichtbar machen muss. Sie kooperiert erkennbar mit einschlägigen Herstellern von Schädlingsbekämpfungsmethoden, engagiert sich berufspolitisch und politisch. Veranlasst durch die Unwissenheit vieler Städter, die keinerlei Bezug mehr zum ländlichen Leben, der Produktion und Herkunft der Nahrungsmittel haben, hat sie vor mehr als 20 Jahren mit Führungen durch ihren Betrieb begonnen und engagiert sich bei der Förderung von Kindern und Jugendlichen. So schrieb sie bereits in den frühen 2000er Jahren ein Kinderbuch, in dem sie die biologische Schädlingsbekämpfung vermitteln wollte.

Gegenüber ihren Berufskollegen betreibt sie Werbung für biologische Produktion, wo das noch notwendig ist. Sie verschweigt auch nicht, dass es Schwarze Schafe gibt, die gegen manche Regeln verstoßen. Es genüge nur ein nachlässiger oder vernachlässigter Betrieb und es gäbe dann natürlich Probleme mit Plastikmüll und manch andere Probleme, aber das seien längst nur noch Ausnahmen. Schwer haben es heute nach Ihren Worten die biologischen-organischen Produzenten. Ihre Erträge sind deutlich niedriger als die der Mitbewerber, die rein biologisch produzieren, und gerade in der aktuellen Krise sind die Verbraucher nicht mehr bereit, die in der Folge deutlich höheren Preise zu bezahlen. Diese Betriebe beklagen derzeit große wirtschaftliche Einbußen.

Besonders stolz ist Lola auf ihre Anerkennung durch den spanischen Staat. Hier bei der Auszeichnung für Innovationen, die durch Frauen im ländlichen Bereich bewegt oder angestoßen worden sind. Sie erhält ihre Urkunde durch die damalige Landwirtschaftsministerin Isabel García Tejerina. Vielleicht darf man dabei erwähnen, dass Lola nur ein Rufname ist, sie in echt spanischer Namenstradition Maria Dolores Goméz Perrón heißt.
Links die aktuellste Auszeichnung Lolas: Frei übersetzt Influenzerin des Jahres in (der Provinz) Almería. Eine Ehrung von vielen.

Die Führung endete mit einer kleinen Verkostung der aktuell erntereifen Tomaten und Gurken und der Gelegenheit zum Einkauf. Business muss sein. Anschließend standen wir noch ein wenig draußen auf dem Parkplatz, und es war auffällig, dass praktisch jeder Teilnehmer sich nach dem Besuch im Invernador in vielen Vorurteilen korrigiert sah und die Invernadores plötzlich mit ganz anderen Augen wahrnahm.   

Wen es interessiert: Es findet sich beim RND (Redaktionsnetzwerk Deutschland, bei Interesse RND anklicken) ein Beitrag aus dem Jahr 2020, in dem auch Lola zu Wort kommt, aber sehr viel Neues und Tiefschürfendes bietet der RND leider nicht. Spannender, da er einen Live-Eindruck von Lola bietet, ist dagegen einer ihrer Vorträge. Also: Wer Lola auf der Bühne erleben will, der muss auf den folgenden Youtube-link gehen: https://www.youtube.com/watch?v=NFngY6nbFlo. In dem Vortrag geht es um die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des „Mar del Plastico“. Wir müssen jedoch vorwarnen, der Vortrag unter dem Link erfolgt in spanischer Sprache. Und in weiten Teilen trägt sie vor, was sie auch uns berichtet hat. Uns hat dieser Vortrag beeindruckt, denn es fasziniert, welch beeindruckende Entwicklung Lola, ein Mensch, der wie oben bereits gesagt nur bis zum Alter von 14 Jahren die Schule besucht hat, in seinem, also ihrem Leben gemacht hat.

Unsere Mitbringsel von Lola

Mit diesem Ausblick auf einen leckeren Salat weisen wir an dieser Stelle auf die Abo-Funktion hin: Wer in Zukunft keinen Beitrag mehr verpassen will, kann unseren Blog abonnieren, und das geht einfach über die Seite Kontakte, oder indem man – noch einfacher – hier klickt.

„Liebe Grüße aus dem heute reichlich windigen Almerimar“ war der geplante Schlussatz, doch der Aktualität muss Genüge getan werden – unsere Grüße stammen aus dem gerade windstillen Gibraltar 😉

Martin und Anke

2 Gedanken zu „Mar del Plastico – Blick hinter die Folie

  1. Lieber Martin, liebe Anke: Vielen Dank für diesen wirklich interessanten und erhellenden Bericht! Jetzt kaufe ich mit deutlich verbessertem Hintergrundwissen und Gewissen mein spanisches Biogemüse in good old Bremen – hoffentlich von Lola und nicht von einem schwarzen Schaf. 😉
    Euch beiden eine gute Zeit in Gibraltar!
    Liebe Grüße von Martina

  2. Sehr interessanter Blick hinter die Plastikwände. So manches Vorurteil wurde bei uns ausgeräumt. Hoffentlich gibt es mehr „Lola‘s“ in der Branche!

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