Römer und Karthager – Tagebuch vom 05.07. bis 22.07.2022
Schon erstaunlich, was in alten Zeiten an der Bucht, an der das heutige Cartagena liegt, so alles los war. Es gab dort bereits eine von frühen Iberern gegründete Stadt, die von den Silber- und Eisenbergwerken der Umgebung lebte, schon in vorrömischer Zeit ausgiebigen Handel trieb und es zu erheblichem Wohlstand brachte. 227 v. Chr. erfolgte durch Hasdrubal eine Neugründung der Stadt, was man sich auch immer darunter vorstellen kann, wobei sie ebenfalls auf den Namen Karthago getauft wurde, wie das Original in Nordafrika. Eine Bezeichnung, die offenbar nichts anderes heißt, als Neustadt oder Neue Stadt. Hasdrubals Sohn, der berühmte Hannibal, brach von hier aus 218 v. Chr. zu seinem legendären Feldzug auf, der ihn über die Alpen bis vor die Tore Roms führte. Viel Freude hatten die Karthager aber nicht an ihrer Neugründung. Noch nicht einmal 20 Jahre danach, im Jahr 209 v. Chr. wurde sie unter Publius Cornelius Scipio Africanus von römischen Legionen erobert. Für die neuen Herren war die Stadt in der Folge nahezu 8 Jahrhunderte lang die wichtigste Silberabbauregion ihres Reiches. Eine zeitliche Kontinuität, die man sich fast nicht vorstellen kann. Für uns führten diese frühen Aktivitäten zu ein paar netten Tagen in Cartagena, doch eins nach dem anderen. Das Beitragstitelbild zeigt übrigens drei von deutlich mehr Mitgliedern einer amazonischen leichten Fußtruppe, die mit doppelter Bewaffnung vermutlich flankierend ins Feld zog. Zu deren Waffen ist angemerkt, dass sie aus leichten, rasend scharfen Stich- und Hiebwaffen, also eine Art längerem Messer, und dann aus eher weicheren und nachgiebigeren, aber um so wirksameren Begleitwaffen bestand, wobei man zweitere in späteren Zeiten als „Waffen der Frau“ charakterisierte. 😉 Ob wir diese leichten Mädchen jetzt eher bei den Römern oder den Karthagern verorten müssen, ließ sich einfach nicht heraus bekommen.
Noch sind wir an der Costa del Azahar und bis Cartagena ist es noch weit. Wir verlassen Oropesa bei null Wind und schicken uns an, aus Martins Sicht fürchterliche 70 Seemeilen südwärts nach Denia zu motoren. Was soll man anderes machen, wenn es keinen Wind geben wird? Zumindest nach den Prognosen. So brummeln wir dahin, nutzen gelegentlichen Windhauch, um Stützsegel zu setzen, und schleppen sogar mal die Angel hinterher. Erstaunlicherweise gibt es drei Anbisse, doch letztlich erfolglos. Alle drei Pfannenkandidaten haken mal früher und leider auch später wieder ab. Die Pfanne bleibt kalt und leer.
Am nächsten Tag streunen wir ein wenig durch Denia, stocken Gemüse für die Bordküche auf, genießen ausnahmsweise ein Mittagessen – meist verzichten wir darauf – bei dem wir die Bekanntschaft einer 97-jährigen, munteren, mit viel Gold behängten Dame machen, die auf dem Mont Galeretes ihr Anwesen hat. Als sie und ihr Mann es bauten, lebten sie ganz allein auf dem Berg, heute ist der Hügel eine Art Stadtteil. Sie kann viel Interessantes erzählen. Ihr über Jahrzehnte währendes soziales Engagement hat ihr zum Dank die spanische Staatsbürgerschaft eingebracht. Sie lebt gerne hier, und vor allem wird sie hier gerne alt. „Die Menschen hier haben Herz, anders als in anderen Ländern.“
Unmittelbar vor dem Ablegen am nächsten Morgen versenkt Martin einen Stecker-Adapter für das Landstromkabel. 150 Euro Pfand sind futsch. Wieso setzen die hier auch derart ungewöhnliche Stromkästen. Grrr. Der Ärger darüber wird abgelöst von Ärger über den Wind. Der nicht weht. Es wird also motort. Wie gestern, vorgestern, und überhaupt. Dieses dumme Mittelmeer. Zeitweise, besonders gegen Abend hin, gibt es schöne bis spannende Lichtstimmungen. (Martins Stimmung hat sich auch wieder gebessert.) Etwas wehmütig passieren wir Benidorm, Alicante und unsere alte Kurslinie.
In Porto Palo staunen wir über einen hier liegenden Finkenwerder-Fischkutter. Nichts ist unmöglich, heißt es ja bekanntlich. Auf der nächsten Etappe gilt das auch für den Wind. Schwacher Ost ist angesagt, stattdessen kommt der Wind aus SSO, also ziemlich von vorn. Selbst als wir kurz vor der Bucht von Cartagena nach Westen eindrehen, dreht der Wind mit und kommt nun aus West. Ggrrrmmmblll. „Immer kommt der Wind von vorn!“ Das hatten wir doch schon im Ärmelkanal.
Doch egal, in Cartagena platzen wir förmlich in römische und karthagische Haufen, Heerhaufen und Legionen. Gerade herrschen die Festtage „Römer und Karthager in Cartagena“. Wir beschließen spontan, zu bleiben. Über mehrere Tage hinweg gibt es Veranstaltungen, Umzüge, Heerlager und Heerschauen, angeblich sogar eine Seeschlacht und zum Schluss eine Darstellung der großen Schlacht zwischen Römern und Karthagern vor der alten Stadtmauer. Unser Marinero meint zwar, dass Ganze sei total ungerecht, denn es sei wie beim Fußball – da gewinnen fast immer die Deutschen – und hier in Cartagena sei es noch schlimmer, da gewinnen nicht nur fast, sondern immer die Römer. Absolut immer. Die Schiedsrichter seien doch garantiert bestochen. Wir machen jedenfalls tüchtig mit, dass heißt, wir streunen herum und bewundern die vielen Kostüme und wohnen schließlich auch der finalen, absolut ungerechten Schlacht bei.
Nach der Schlacht heißt früher Start am nächsten Morgen. Der Marinero kommt sogar extra vor seinem offiziellen Dienstantritt, um unseren Stromverbrauch abzulesen und abzurechnen. Nutzen tut der frühe Start aber nicht. Der versprochene Wind lässt sich zunächst nicht blicken. Zwei, drei Stunden später oder so weht es doch ein bisschen. Nur die Richtung ist blöd. Exakt von hinten. Anke möchte daher die Genua ausbaumen. Das bedeutet viel Arbeit, zumal wir unseren Spi-Baum so gut wie noch nie benutzt haben und uns die Übung fehlt. Aber sie hat recht, wir müssen das mal üben.
Zwischendurch wird im Äther (Funk) Seenotalarm wegen eines Flüchtlingbootes südlich von Almeria ausgelöst. Später noch ein zweiter bei Benidorm, das ja schon deutlich hinter uns liegt. Sehr seltsam.
Vielleicht gegen Mittag herrscht Halbwind und entsprechender Jubel. Es geht flott voran. Dass damit natürlich die Arbeit verbunden ist, den Spi-Baum wieder abzuschlagen, erwähnen wir nur mal flüchtig. Im Verlauf der nächsten ein, zwei Stunden schralt der Wind weiter, und immer weiter, bis er von vorn kommt. Und immer stärker wird. Wir finden das ziemlich daneben, auch wenn es uns voll trifft. Da war irgendwie von 5 Wettermodellen etwas ganz anderes prognostiziert. Nur Schrader, dieser olle Pessimist, hatte was von Gegenwind angedeutet, aber eher einen Hauch von Stärke und sehr viel später.
Wir motoren also gegenan. Ein zwischenzeitlicher Kreuzversuch begeistert auch nicht. Wir sind auf der Kreuz zwar schnell, aber der tatsächliche Fortschritt ist wegen der inzwischen groben Welle und eines Gegenstroms auch nicht besser. Und wir fürchten unsere Erschöpfung. Also muss letztlich doch wieder die Maschine ran. Mago ist grottenlangsam. Das Boot muss unbedingt aus dem Wasser und der Propeller muss gesäubert werden. Das wird mehr als deutlich. Ein elender, quälender Kampf über die nächsten Stunden folgt. Erst im Dunkeln ist unser Ziel, die Bucht Porto Genovese erreicht. Glücklicherweise gibt es nur zwei weitere Ankerlieger, wir können uns vorsichtig tastend ein ruhiges Fleckchen in ganz flachem Wasser suchen. Porto Genovese hab ich, Martin, noch vom letzten Jahr her in ganz schlechter Erinnerung. Aber heute gibt es in ihr wunderbarerweise keinerlei Schwell. Wir können ohne wüstes Geschaukel das Abendessen bereiten und werden für all die ertragene Unbill mit ruhigem Schlaf belohnt. Es gefällt uns sogar so gut, dass wir am liebsten noch einen Tag bleiben würden. Aber mit Blick auf die Wetterlage hüpfen wir dann doch besser um die Ecke herum nach Agua Dulce. Ursprünglich wollten wir noch weiter, aber der Wind! Ja was? Natürlich kam er gleich auf die Nase, kaum dass wir Porto Genovese verlassen hatten und um die Huk, das Cabo Gata, rum waren. Immerhin findet Anke in diesem Örtchen, was ihr schon lange fehlt: eine Friseurin. Am nächsten Morgen sind wir vor lauter Vorsicht und da der Wind am Nachmittag aus West auffrischen soll wieder mit dem ersten Büchsenlicht los. Wie nicht anders zu erwarten, herrscht natürlich kein Wind und wir motoren.
Aber – puh – durchatmen – wir haben es geschafft. Wir sind gegen Mittag noch vor dem sich entwickelnden Westwind in Almerimar angekommen. Und von dort und parallel aus Worpswede erreichen Euch jetzt – wenn auch mit Wochen Verspätung – diese Grüße.
Damit endet dieser Beitrag noch nicht, denn es gibt endlich wieder ein neues Tagebuch. Da hinken wir ja leider reichlich hinterher. Über die kommenden Wintermonate dürften bzw. werden wir uns der Gegenwart jedoch wieder annähern. Da sind wir recht zuversichtlich. Das aktuell eingestellte Tagebuch schildert die Reise von der Cala Reparata, unserer letzten Bucht auf Sardinien, an der Ostküste Korsikas entlang, einmal um Elba herum bis zur jenseits von Elba besuchten letzten Bucht auf Korsika. Zum Aufrufen dieses Tagebuchs einfach auf diesen Satz hier klicken.
Zu den Tagebüchern bei der Gelegenheit noch eine Anmerkung: Sie bieten noch mehr Berichte, enthalten zusätzliche Informationen und möglichst auch andere Bilder, als die hier im Blog eingestellten Fotos. Einfach mal neugierig schauen.
Abschließend möchten wir wieder auf die Möglichkeit eines Abos hinweisen: Wer in Zukunft keinen Beitrag mehr verpassen will, kann unseren Blog abonnieren, und das geht einfach über die Seite Kontakte, oder indem man – noch einfacher – hier klickt.
Liebe Grüße
Martin und Anke