Bis Barcelona – Sagrada Familia (Antoni Gaudí)

Bis Barcelona – Sagrada Familia (Antoni Gaudí)

Nach Saintes-Maries-de-la-Mer haben wir versucht, zügig vorwärtszukommen, sind dank der mauen Winde allerdings ziemlich dem Küstenverlauf gefolgt. Martin wollte nicht ununterbrochen quer über den Löwengolf motoren. Das Ergebnis war mit den letztlich „abgesegelten“ Etappen auch nicht von weniger Motorstunden geprägt, als wenn man durchgezogen hätte, jedoch genossen wir zumindest Nächte, an denen man – meist in Häfen – ruhig schlafen konnte. In Seté gab es keinen Platz für uns, also sind wir nach einem kurzen Telefonat mit der dortigen Marina gleich weiter nach Cap d´Agde gezogen. Es folgten Stationen in Canet-en-Rousillion und ein Ankerstop in der Anse de Pauilille. Mit Erreichen von Puerto Roses war die spanische Seegrenze überschritten. Nach einer kleiner Pause in Roses erreichten wir den Port de San Feliu de Guixols, ohne Bindestriche geschrieben, darauf verzichten die Spanier im Gegensatz zu den Franzosen. Dennoch, was für ein Name!

Und schließlich liefen wir in den Port Olímpic in Barcelona ein.

Unterwegs entlang der Küsten des Löwengolfes. Wir sind dankbar, wenn wir brauchbaren Wind haben, gerne auch knapp an der segelbaren Kante, wie hier auf dem Weg zur Anse de Pauilille, Hauptsache Wind. Der trübe Dunst weist allerdings darauf hin, dass mit dem Wind nicht viel Staat zu machen ist. Um gegenüber dem Wind Gerechtigkeit walten zu lassen, er kann hier auch anders. Nicht umsonst lagen wir unerwartet in Port Napoleon. Und der Wind kann hier auch solche Nettigkeiten zeigen, dass er bei einem Mittelwind von einem Knoten, also fast Windstille, plötzlich mit Böen von 30 Knoten (= 7 Bft) über einen herfällt.
Canet-en-Roussillion kurz vor der französisch-spanischen Grenze ist erreicht; die östlichen Ausläufer der Pyrenäen sind nicht weit. Anke hat – umweltbewusst wie immer – darauf bestanden, unterwegs einen treibenden Schwimmreifen aufzufischen. Martin meinte zwar, dass man damit den Seevögeln einen wertvollen Trittstein nehmen würde, auf diese Funktion wiesen die zahllosen Kotspuren auf dem Reifen hin. Aber Anke hatte natürlich Recht. Nun ist der Schwimmreifen gesäubert und wird auf der Promenade aufgehängt, damit irgendwer wieder seine Freude daran hat.
Strand und Promenade von Port Roses. Viele Afrikaner betreiben hier ihre Minigeschäfte, um irgendwie zu überleben. Anke im Hintergrund mit einem unserer Falträder.
Ein Sandkünstler schafft jeden Tag eine neue Skulptur am Strand von Roses. Diesmal eine Art Burg, vorbereitet für eine nächtliche Illumination.
Fassadenkunst an einem kleinen Platz abseits der Promenaden. Wenn man sich tiefer mit den Motiven beschäftigt, geht es hier um den spanischen Bürgerkrieg. Allerdings haben wir die eigentlichen Aussagen nicht ergründen können.
Ein ungewöhnlicher Yachthafen – Sant Feliu de Guixols. Wir wollten in der Bucht davor ankern. Doch dort herrschte ein derart grauenhafter Schwell, dass wir um die Ecke, also um eine kleine Huk sind und für eine ruhige Nacht das Liegegeld im Hafen gerne in Kauf genommen haben.
Faszinierende Quallen begleiten uns. In Sant Feliu de Guixols können wir einen genauen Blick auf die Spiegeleiqualle (Cotylorhiza tuberculata) werfen.
Hier die gleiche Art, nur von der „anderen Seite“ fotografiert.
Der letzte Schlag Richtung Barcelona bringt Parasailorwetter,
Zunächst vom Feinsten …
… aber dann geht was schief. Zeitweise war das Segel hinter der oberen Saling des Großmastes verheddert. Glücklicherweise konnten wir es ohne einen Schaden wieder befreien und dann bergen.

Für Martin war das ein Wiedersehen nach fast 40 Jahren, für Anke eine neue Entdeckung. Ungeplant verbrachten wir hier sogar mehr Tage als vorgesehen, was unsere Aktivitäten um viele Aspekte bereicherte. Und das touristische Pflichtprogramm mit einer entspannte Kür ergänzte. Ganz zu Anfang ließen wir uns ein wenig treiben, wollten erste Eindrücke der Stadt sammeln. Besuchten die Ramblas – der Name weist eigentlich darauf hin, dass es an dieser Stelle ehemals einen Wasserlauf gab – inspizierten einen Markt und machten Kolumbus unsere Aufwartung, für den ein Denkmal vor dem hafenseitigen Ende der Ramblas errichtet wurde. Wenn Kolumbus, der sein Leben ja geradezu in Vergessenheit beendete, so etwas noch erlebt hätte!

Promenade unmittelbar neben dem Port Olímpic. Die Promenade ist schon recht eindrucksvoll errichtet, aber der Port Olímpic selbst wartet noch auf die Fertigstellung der vorgesehenen Renovierungsarbeiten.
Anke im Menschengewirr der Ramblas. Vor 40 Jahren ereignete sich hier eine lustig-sportliche Episode. Martin: „Zwei mittelalte Frauen stürzten im wahrsten Sinne des Wortes auf mich zu und wollten mir eine Rose verkaufen für meine Freundin. Dann fast schenken. Und eh ich mich versah, autsch, steckte der dornige Trieb zwischen meiner Haut und dem T-Shirt, die Blüte kitzelte an meinem Hals. 2,5 Pesos sollte die Rose kosten. Nicht viel. Und ich gab denn etwas überrumpelt zweieinhalb Pesos. Daran war aber offenbar etwas falsch. Sie lamentierten und meinten, sie wollten mir etwas anhand meines Portemonaie-Inhalts zeigen. Jetzt weiß ich in der Regel recht gut über meine Münzbestände Bescheid. Und mir war klar, dass eine Einheimische mit den hiesigen Münzen noch vertrauter sein sollte. Außerdem war wie durch Zauberhand der Blick auf meine Geldbörse plötzlich durch eine Zeitung versperrt. Ich hob die Zeitung an und sah alle meine Geldscheine in der Hand einer der Frauen. Die warfen das Geld sofort zu Boden und rupften die Rose aus meinem Shirt. Nochmals Autsch. Es begann eine wilde Verfolgung kreuz und quer über die Ramblas, da ich die Rose jetzt umsonst haben wollte. Dabei flog ein kleines Knäuel Papier zu Boden. Die letzten noch geklauten Pesetenscheine. Das verhalf den beiden zum entscheidenden Vorsprung für die Flucht durch den Autoverkehr, der damals eine ganz andere Intensität hatte, als heute. Na gut – unentschieden. Ich hatte keine Rose aber behielt all mein Geld.“
Im Sonnenlicht schimmernde Lampen auf den Ramblas
Eingang zum Markt St. Josep unmittelbar neben den Ramblas
Hier gibt es leckere Fertigarrangements für Touristen und eilige Besucher …
… spannende Meeres-Genüsse wie Seeigel, Austern und Hummer …
… und überraschend ungewöhnlich: Entenmuscheln. Die wachsen eher an Schiffsrümpfen und sind im Allgemeinen recht unbeliebt, da sie die Fahrt der Schiffe hemmen. Andererseits wissen wir, dass man sie essen kann, und wir haben sie tatsächlich Anfang 2005 in einem kleinen Restaurant in Palmeira auf Sal, Kapverden, auf Anraten von Carlos, dem damaligen TO-Repräsentanten dort (Gott hab ihn selig) in scharfer Sauce probiert.

Jetzt wird dieser Blogbeitrag etwas architektur- und sakral geprägt; denn bei dem Pflichtprogramm war natürlich das erste Ziel die Sagrada Familia. Auch wenn man nicht religiös ist, wer dieses Gebäude nicht gesehen hat, verpasst eine Gelegenheit zu bewundern, was Architektur leisten kann. Als Martin diese so ungewöhnliche Kirche um 1980 herum besuchte, gab es das Kirchenschiff nur in angedeuteten Fragmenten, von einem Dach ganz zu schweigen. Von den 14 (später 18?) Türmen der Kirche standen, wenn er sich richtig erinnert, nur die vier Türme der sogenannten Geburtsfassade, die gegenüberliegenden Türme der Passionsfassade waren noch im Bau, aber bereits weit fortgeschritten. Heute sind die 8 Türme an den Seiten und die Aposteltürme, die rings um den zentralen Jesusturm angeordnet sind weitgehend fertiggestellt. Der mit 135 Metern zweithöchste, der Marienturm in etwas gesonderter Lage wurde Ende 2021 „eingeweiht“. Am höchsten, dem Jesus-Turm steht die Vollendung noch aus. Interessant, dass Gaudí Wert darauf legte, dass auch dieser Turm nicht höher sein durfte als die Hügel der Umgebung, daher ist dessen Höhe auf knapp über 170 Meter begrenzt. Kein Werk aus Menschenhand sollte nach seiner Auffassung die Natur, also das Werk Gottes, überragen. Das Kirchenschiff ist heute praktisch fertiggestellt, überdacht und schon weitgehend ausgestattet. Die Fassaden sind bis auf die Nordfassade mit all ihrem Schmuck und Zierrat gestaltet. Man könnte allein schon eine Woche damit verbringen, dieses so einzigartige Gotteshaus in seinen Details zu studieren.

Für den, dem die Sagrada Familia nichts sagt: Ende des 19. Jahrhunderts fiel dem damals noch sehr jungen, also etwa dreißigjährigem, katalonischen Architekten Antoni Gaudí die Federführung beim Bau einer Kirche, der Sagrada Familia (Heilige Familie), zu. Ursprünglich war dies noch ein ganz gewöhnliches Kirchenbauprojekt, doch im Laufe weniger Jahre hat Antoni Gaudí die ursprüngliche Konzeption völlig umgeworfen und eine ausgesprochen eigenwillige Architektursprache für das Projekt entwickelt. Manches kann man als eine katalanische oder besser speziell gaudische Ausprägung des Jugendstils verstehen, besonders wenn man es mit seinen Profanbauten in Barcelona vergleicht. Aber das ist zu kurz gegriffen. Gaudí war ausgesprochen innovativ, nutzte neue Technologien und war auch bereit, gerade bei Gestaltungsfragen und Details völlig unkonventionelle Wege zu beschreiten. Wie auch immer.

In den letzten Jahren seines Schaffens konzentrierte er sich auf dieses Kirchenbauprojekt, wissend, dass er dessen Vollendung nicht erleben würde, zumal das Vorhaben bis heute ausschließlich durch Spenden finanziert ist. Erstaunlich ist, dass große Spendenanteile aus dem asiatischen Raum stammen, besonders auch aus Japan.

Spitzen, Strebepfeilerabschlüsse und Giebel einer Fassade, die wie alle andern auch mit jedem Element und jedem Detail zum Himmel streben.
Nicht nur die hier gewählte Perspektive bestimmt die Eigenwilligkeit des Bauwerks, es ist im Ganzen eigenwillig. Die runden Türme auf ursprünglich rechteckigen Basen weitergeführt, ordnen sich vollständig dem Zweck unter, in alle denkbaren Richtungen die Klänge der Röhrenglocken zu verbreiten.
Auf der Fassadenseite, die sich Christi Geburt widmet, ist ein filigranes, florales Dekor bestimmend. Die überschwängliche, detailverliebte Dekoration soll die Freude über Christi Geburt ausdrücken. Allein in diesem winzigen Ausschnitt sind die Verkündung des Erzengels Gabriel an Maria, Vögel und Flora, die Tierkreiszeichen, die am Heiligen Abend am Himmel stehen, der Stern von Betlehem (Bildmitte), ein Rosenkranz als Fensterumrahmung, musizierende Engel und noch vieles mehr eingebunden.
Die bronzenen Türen der Geburtsfassade wurden vom japanischem Bildhauer und Künstler Etsuro Sotoo mit einer Detailverliebtheit gestaltet, die seines gleichen sucht. Nicht ein Element gleicht einem anderen. Jedes Stück, jedes Blatt wurde individuell gestaltet. Hier bettelnde Jungvögel im Nest, rechts im Hintergrund der sich nähernde Elternvogel mit gefangenem Wurm. Natürlich ist nicht alles von Antoni Gaudí vorgegeben. Zahllose Künstler die sich der Sagrada Familia gewidmet haben und noch widmen, versuchen aber, dessen Inspiration aufzunehmen und fortzusetzen.
Ein bronzener Tausendfüßler krabbelt durch das bronzene Blätterwerk, auf einem der Blätter eine Biene usw. usw. Man kann gerne eine halbe Stunde allein vor den beiden Türflügeln verbringen und immer neues entdecken.
Im Innern der Kirche wird man von einer Flut ungewöhnlichster Eindrücke und von verschiedensten Lichtstimmungen empfangen. Je nachdem, was draußen für ein Wetter herrscht, welche Tageszeit ist, ob die Sonne scheint oder nicht. Dazu kommt die Wirkung der einzigartigen Architektur. Hier das Deckengewölbe im Bereich, an dem sich das Querschiff und die beiden Teile des Längsschiffs zusammenfügen.
Knotenpunkte der Stützstreben und der Säulen in einer geradezu natürlich bzw. organisch wirkenden Gestaltung. Hinter allem steckt eine erstaunlich vielseitige Anwendung geometrischer Formen. Allein das Studium der sich verändernden Querschnitte der Säulen und Streben verblüfft durch die Fülle, die man dabei entdeckt.
„Bäume“ und Gewölbe des Langhauses. Interessant ist, dass Gaudí je nach statischer Bedeutung und Lastaufnahme für die einzelnen Säulen und Streben unterschiedliches Gestein eingesetzt hat. Die extrem grob geschnittene Figur rechts am Bildrand stellt den Schutzpatron Kataloniens dar.
Lichtstimmungen in einem der Seitenschiffe, draußen herrscht gerade blauer Himmel, aber es fallen keine Sonnenstrahlen durch die Fenster.
Im inneren der Kirche hält sich das Dekor auffallend zurück. Der Raumeindruck wird von der Gestalt der Mauern, Streben, Stützen, Balkone usw. und deren Oberflächen bestimmt.
Ein Seitenschiff, in das abendliches Sonnenlicht einströmt.
Auffallend, viele teils auffallend stilbewusst gekleidete Japaner besuchen die Sagrada Familia.
Anke vor einem Türdetail einer Nebentür in der Passionsfassade. Besonders in der oberen Hälfte erkennt man den kantigen, reduzierten Stil, der die gesamte Passionsfassade bestimmt. Jesus steht vor Pilatus. Die angedeuteten Wächter nehmen Gestaltstile des frühen zwanzigsten Jahrhunderts auf, ihre Helme sind eine Anspielung auf die Schornstein- bzw. Kaminabschlüsse, die Gaudí bei der Casa Milà , seinem letzten profanen Bauprojekt entworfen hat. Diese Türen hat übrigens der Spanier Josep Maria Subirachs (†) gestaltet, der an zahlreichen Stellen der Sagrada Familia mitgewirkt hat. Weite Teile der Passionsfassade stammen von ihm.
Ausschnitt aus der oben gezeigten Tür. Die filigrane Arbeit lässt uns kaum los. Als alter Motorradschrauber fasziniert Martin besonders der integrierte Gewindebolzen.
Ein weiterer Ausschnitt der Passionsfassade. Sie soll das Elend und das Grauen von Jesus Leiden ausdrücken. Daher der vollständig andere Charakter im Vergleich zur Geburtsfassade. Jesus trägt das Kreuz und begegnet den Frauen von Jerusalem. Veronika hält das Tuch mit dem Antlitz Jesu. Die Gestaltung der Wächter entspricht den skizzenhaften Wächtern auf der Nebentür oben. Das Zitat der Kaminköpfe der Casa Milà ist hier noch eindeutiger.
Zum Abschluss eine mit moderner Technik erstellte Animation des endgültigen Zustands.

Die Fortschritte, die die Sagrada Familia in den vergangenen 40 Jahren gemacht hat, konnte man sich um 1980 herum kaum vorstellen. Und leider kann Martin zur Zeit nicht auf seine Dias aus dieser Zeit zurückgreifen. Der Vergleich wäre sicher spannend. Damit soll es aber genug sein, wir lassen einfach ein paar Bilder sprechen.

Barcelona hat uns mit unglaublich vielen Eindrücken beschenkt. Wir stellen daher lieber noch ein paar „Teilbeiträge“ ein. Einer wird sicher noch mal um Antoni Gaudís Schaffen kreisen, einer um den Rest.

Wir wollen dennoch erwähnen, dass wir inzwischen in Almerimar eingetrudelt sind, wo wir eine ganze Reihe von Bootsarbeiten erledigen und möglicherweise regelrecht überwintern werden.

Euch liebe Grüße

Martin und Anke

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