Sonne, Geschosse, Schnee und Eis
Innerhalb der letzten 24 Stunden konnten wir ein wahrhaft buntes Potpurri erleben. Gestern Nachmittag machten wir einen ausgiebigen Spaziergang Richtung Lorient, denn wir liegen hier in einem kleinen Vorort, Lamor Plage. Die Sonne schien, längs der Uferwege gab es kaum Wind und uns reizten die U-Boot-Bunker, die uns bei der nächtlichen Einfahrt so dunkel entgegenstanden. Zumal dort Szenen zum Film „Das Boot“ gedreht wurden. Es war ein Spaziergang mit strahlend blauem, wolkenlosen Himmel. Bei der Annäherung bedauerten wir wieder einmal die Covid-Umstände, denn hier ist ein Segel-Museum zu Ehren von Eric Taberly untergebracht, das die ganze moderne Regatta-Welt zelebriert, aber natürlich ist es geschlossen. Um so größer unsere Überraschung, als plötzlich zwischen den Bauwerken und Bunkern ein hypermoderner Tri um die Ecke geschoben wurde. Dass vor den Bunkern einige Segel-Geschosse im Wasser lagen, hatten wir schon aus der Ferne ahnen können. Aber jetzt und hier so ein Ding vor unserer Nase, die Prymonial. Toll. Und gleich um die Ecke wartete noch einer, Solidaire en Peleton. Zwei Trimarane, 30-Meter-Boliden. Na, es sind eher Leichtgewichte. Sie wurden soeben zum Kranen vorbereitet. Von einem einfachen Range Rover und mit schlichter Manneskraft dirigiert. Und es wurde immer besser. Vor den Bunkern lag die Gitana 17 Edmond de Rothschild. Und dann mehrere Open 60. Und Minis – Pogos und Maxis mit Scow-Bug.
Und dann fiel uns ein Mann mit einem Hoodie und der Aufschrift Team Malizia auf. Und gleich drauf sahen wir sie, die Seaexplorer. Die ehemalige Malizia II lag hier. Das Boot, mit dem Boris Herrmann die Vendee Globe so spektakulär bestritten hat. Mussten wir natürlich gleich bestaunen und ein paar Worte mit den Team-Mitgliedern wechseln. Wir konnten sogar mit dem Handy einer Crew Glückwünsche an Boris senden, aber dank englischer Tastatur und Korrekturfunktion wird Boris sich wohl fragen, was für einen schrägen Schrat sein Teamer da am Handy hatte. Natürlich haben wir auch einen kurzen Blick auf die Schäden genommen. Der demolierte Foil war schon abgesägt. Am Rumpf erstaunlich zurückhaltende Macken. Der Bugbeschlag reichlich demoliert. Aber an sich befand sich der Schlitten in gutem Zustand. Wir waren beeindruckt von der Gelassenheit und Professionalität auf allen Booten. Es gab keinerlei Absperrungen für, besser gegen das Publikum, doch überall wurde konzentriert gearbeitet und gewerkelt. Natürlich auch auf der Seaexplorer.
In der Nacht dann der große Wechsel. Es wurde kalt. Draußen. Und drinnen, da unsere Heizung extrem schwächelte. Sie hielt kaum 20 bis 30 Minuten durch, bis sie wieder ausstieg. Wir haben schließlich, allerdings für diese Nacht zu spät, herausgefunden, dass unsere Klimaanlage auch leistungsfähig heizen kann. Lautstark, aber immerhin. Das Hauptproblem für die kommende Nächte ist gelöst.
Am Morgen dann leichte Schneeverwehungen an Deck. Man hatte es in der Nacht schon gehört, ein leises Rieseln. Ein leichter, körniger, sehr trockener Schnee. Der größte Teil wurde gleich wieder weggeweht und blieb nicht liegen. Wenig später dann kam der versprochene Eisregen. Ein gefrierender Sprühregen. Erst hat man es gar nicht wahrgenommen, da die unteren 2 Meter kaum Eis zeigten, die Wärme des Wasser hat das verhindert. Doch bei genauem Hinschauen: Das ganze Rigg, stehendes und laufendes Gut, alles bekam einen dicken, gläsernen Überzug. Nichts bewegte sich mehr. Kein Knoten ließ sich lösen, die Nationale wurde zum Brett, der TO-Stander bekam einen eisigen Saum und gefror zu Bewegungslosigkeit, der Windex blieb stehen. Festgefroren.
Später ging es los. Teile des Eises lösten sich. Erst ein Rauschen beim Rutsch am Want, dann ein Schlag auf die Reling und ein Klirren. Und dann immer mehr, immer öfter, immer heftiger. Fette Brocken, die mit Gewalt auf das Deck krachten. Das erbebte manchmal richtig. Unwillkürliches Zusammenschrecken und -zucken. Wir gingen nicht mehr ohne Kopfschutz an Deck. Draußen ein Poltern, Knallen, Klirren und Schlagen. Überall. Im Ganzen Hafen. Teilweise sah es spektakulär aus, wenn große Eisstangen sich lösten, anderes Eis mitrissen und beim Aufprall eine Eisstaubwolke bildeten, aus der scheinbar Glasstücke herausschleuderten.
Mittlerweile ist alles abgetaut, der Lärm und der gelegentliche Schrecken sind vorüber.
Fröstelnde Grüße aus dem frostigen Lorient senden Euch
Anke und Martin