Zum Jahresende – Einblicke und Anblicke zur Kunst in Curaçao

Zurzeit ankern wir bei Salinas. Hier gibt es eine lebendige Seglergemeinschaft, heißt natürlich community, aber sonst ist nicht viel los. Das Örtchen ist an Ausdruckslosigkeit wahrscheinlich der platte Durchschnitt in Puerto Rico. Ok, vielleicht werden wir zukünftig mal versuchen, das Platte zu veranschaulichen. Jetzt erinnern wir uns gerade an Willemstaad. Fanden wir ja auch nicht gerade prall, aber nach unseren neuen Erfahrungen müssen wir feststellen, dass da doch weitaus mehr war, was wir erwähnen sollten. Da ist also noch einiges nachzutragen, und das soll heute geschehen, begleitet von puertoricanischer Musik, die Ihr Euch vorstellen müsst. 😉 Die ist sehr südamerikanisch, eine Mischung aus Cuba, mexikanischer Polka und natürlich auch einem Mix aus brasilianischen, kolumbianischen und venezolanischen Elementen.
Nun gut. Unseren kleinen Rückblick gliedern wir in Straßenkunst – Kultur und – Brennkultur.
Straßenkunst





Das Haus des Künstlers Francis Sling ist mit einem farbenprächtigen, filigranem Motiv bemalt, das die Schönheit und das Chaos des Lebens vereinen bzw. symbolisieren soll. Es heißt 3 o’clock Romance und erzählt die Geschichte zweier Vögel, die sich auf einem Baumzweig begegnen. Die Geschichte der beiden Vögel, die sich täglich am selben Ort treffen, ist eine Metaphorie auf die Wiederbelebung des Viertels Scharloo. Künstler und Bewohner haben ihren Stadtteil revitalisiert und zu einem Ort kultureller Begegnung gemacht. Die Initiative Street Art Skalo hat Scharloo in ein lebendiges Projekt verwandelt. (Skalo und Scharloo haben die gleiche Bedeutung. Ersteres entstammt dem Papiamentu.)


Die Künstler lassen sich von der Gebäudewirklichkeit in keiner Form behindern. Ein auffliegender Vogel, vermutlich der für Curaçao durchaus charakteristische Bananaquit (Coereba flaveola) vor frisch installierten Wasserzählern. Aufgrund der Machart vermuten wir, dass das Werk von Nena Sanchez stammt.
Ebenso plastisch werden menschliche Motive wiedergegeben. Wobei das allerdings mehr ein Spezifikum des betreffenden Künstlers, hier der Künstlerin Nena Sanchez sein dürfte. An dieser Stelle möchten wir auf folgenden Link hinweisen: → https://byemyself.com/curacao-the-best-street-art/ Anklicken und über die Vielfalt der Straßenkunst in Willemstaad staunen.
Unseres Erachtens zeigt die verlinkte Zusammenstellung die beste und vollständigste Übersicht über die vor Ort aktiven Künsler und ihre Arbeiten.


Oft interessieren auch Ausschnitte der jeweiligen Arbeiten. Diese Ausschnitte entwickeln eigenen Charme und besitzen als abstrakte Wahrnehmungen ihren eigen Reiz. So schafft der Künstler sein Werk, und der betrachtende Fotograf entwickelt daraus eine womöglich völlig andere Wahrnehmung von Farbe, Struktur, Rhythmus oder womöglich Raum. Etwas völlig Neues halt. Anders ausgedrückt, ein eigenständiges Werk.
Man – also fast jeder – läuft einfach vorbei. An einem bescheidenen Platz (suchen! 😊) läuft man, also praktisch jeder, an einem kleinen sich schon an der Basis verzweigenden Baum vorbei. Warum auch immer, der Baum hat diverse Schäden und hier und da seine Borke verloren. Jemand mit einem Auge und Gespür hat in den Verletzungen des Baumes Potential erkannt. Da ist aus Sehen und Vorstellung etwas Verblüffendes entstanden. Einfach zu übersehen – doch der Entdeckung wert. Zudem mitten im städtischen Leben lokalisiert.


Sieht aus, als wär´s ein Werk von Niki de Saint Phalle. Ob es das ist, konnten wir nicht feststellen. Aber zumindest ich, Martin, Mensch des Jahres 2025, konnte nicht umhin, dass Werk als durch und durch sexistisch, rassistisch und diskriminierend wahrzunehmen. Stellt es die hiesige schwarze Frau doch fett und mit überdimensionierten Brüsten und Gesäß dar. Widerlich. Eigentlich hätte ich es gleich abfackeln müssen.
Wie? Widerspruch? Nicht? Kunst darf alles? Nun, unter uns, natürlich sind die Zeilen oben nur Parodie und Ironie. Warum und wieso ist sicher keiner Erwähnung wert, nicht wahr?
Hier und da bietet sich die Möglichkeit, den Künstlerinnen und Kunsthandwerkern direkt die eine oder andere Arbeit abzukaufen.


Kultur
Nun hatten wir ja dank der vielen zu erledigenden Besorgungen mehrmals einen Mietwagen, und was lag näher, den wenigstens für kleine Ausflüge zu nutzen. So besuchten wir gemeinsam mit Helena und Tim das Landhuis Bloemhof in Willemstaad. Die Ursprünge dieses Landhauses reichen in das frühe 18. Jahrhundert zurück. Anders als andere Landhäuser fand hier zunächst keine Landwirtschaft statt, sondern man sammelte und bevorratete Wasser, um es an „echte“ landwirtschaftliche Betriebe und andere Nutzer zu verkaufen. Erst später begann man auch Landwirtschaft zu treiben. Vor allem kultivierte man Laraha (Citrus aurantium ssp. currassuviencis). Die Geschichte dieser Frucht ist recht interessant. Bereits 1527 führten die Spanier eine Orangensorte ein, die jedoch mit dem Klima und den hiesigen Böden nicht zurecht kam. Sie entwickelte sich zu einer ungenießbaren Frucht und wurde vergessen und verwilderte.
1919 kam das Landhaus in den Besitz der Familie Maduro, in die May Henriquez-Alvarez Correa einheiratete. Sie trug als Künstlerin und Förderin maßgeblich dazu bei, das Anwesen in ein kulturelles Zentrum zu verwandeln, in dem sich Künstler aller Genres treffen, arbeiten und auch austellen konnten. Bis heute. Wir wussten zunächst nicht, was wir zu erwarten hatten, aber wir vier waren dann recht schnell von dem begeistert, was wir vorfanden.





Auch wenn wir vermeiden, ein Gesamtbild der Kathedrale zu zeigen, zugegeben, sie ließ sich nicht gut ablichten, die Idee, dass Herman van Bergen so etwas wie eine Kathedrale im Kopf hatte, veranschaulicht dieser Einblick in besonderem Maße.


Melvin Anderson, o.J. Kein Titel. Glasskulptur. Ein faszinierendes Werk, das von den sich stets wandelnden Lichtreflexen lebt.
Kirk Glas, o.J. Kein Titel.
Dennoch beeindruckend.


Giovanni Abath, 2019. Iluminated destiny.
Am Rande der Dornen. Ich hab fünfmal hinschauen müssen, um sicher zu sein, dass der Kopf dieser Metallskulptur scharf abgebildet is. Er ist es. Doch im Zusammenspiel mit dem Hintergrund scheint er es nicht zu sein.


Es scheint, dass die Bücherfrüchte stetig nachwachsen.


Helena, Tim und Anke streifen noch durch Garten, Kunst und Überhaupt, da ruht Martin schon auf der Terrasse des Landhauses. Vielleicht recherchiert er ja gerade über den Ernst der Kunst und der Pille-Ente? Er hat´s nicht verraten.
Helena hat auf dem Gelände des Bloemhof Früchte der Calebas entdeckt, eine geöffnet und erläutert uns nun, welchen Nutzen die Calebas für den Menschen haben.


Martins kritischer Geist prüft Geruch, Haptik, Textur und hält auch mal die Zunge dran. Ergebnis: Man kann was draus machen.
Brennkultur
Irgendwie haben wir keins der Landhäuser auf Curaçao fotografiert. Nicht einmal das auf dem Bloemhof, und auch nicht das der Familie Senior, das wir unmittelbar danach besuchten. Nachdem die Niederländer 1634 Sint Maarten an die Spanier verloren hatten, revanchierte sich die Niederländische Westindische Compagnie mit der Eroberung von Aruba, Curaçao und Bonaire. Es dauerte nicht lange bis Curaçao mit Zuckerrohrplantagen überzogen war. Im Zentrum jeder Plantage befand sich ein Landhuis, stets auf einem Hügel gelegen, damit man sich im Falle eines Sklavenaufstands gegenseitig besser benachrichtigen konnte.
Die Wurzeln der Senior-Familie gehen bis auf das Spanien des 15. Jahrhunderts zurück. Viele von ihnen waren zum Christentum konvertierte Juden, die allerdings heimlich an ihrem Glauben festhielten. Andere flohen vor der spanischen Inquisition nach Holland, und von dort aus wanderten mehrere Nachfahren nach Curaçao aus. Es ist eine nette Geschichte, dass einer der Nachfahren dieser Exilanten im 19. Jahrhundert bildlich oder konkret – wer weiß das schon – über eine vertrocknete Schale einer Larahaorange stolperte und ihn der dabei freiwerdende Duft ätherischer Öle zu Ideen für einen Likör animierte. Nach zahllosen Versuchen mit verschiedenen zusätzlichen Gewürzen gründete Edgar Senior 1896 die Senior Co. und legte den Grundstein für dass, was heute als originärer Curaçao-Likör auf den Weltmarkt gelangt.


Wir waren durch Zufall zwischen zahlenden, geführten Touren in das Senior-Anwesenheit geschlüpft, ohne uns dessen überhaupt bewusst zu werden. So konnten wir uns, ohne getrieben zu sein, entspannt umschauen. Eine alte Distille, die angebllich noch in Betrieb ist. Das Plastikrohr am unteren Abgang spricht dafür, das nichts anzeigende Thermometer eher dagegen.


Ein wenig sollen Gefühle angesprochen werden. Bei einem alkoholischen Produkt vielleicht gar nicht so weit hergeholt.
Wie man sieht, der stilisierte Laraha-Orangenbaum ist unverändert das Symbol der Familie und auch der den Likör produzierenden Gesellschaft Senior & Co..



Wie man sieht, und aufgrund der vergangenen Blogbeiträge ja bereits hier und da ahnen konnte, die Wirtschaft der karibischen Inseln beruht auf einem nicht zu unterschätzenden Teil auf der Produktion alkoholhaltiger Erzeugnisse. Wir sind noch unsicher, wie wir mit dieser Erkenntnis umgehen sollen. Als Reisende sollten wir ja aufgeschlossen und vorurteilsfrei unterwegs sein. Und das kann ja nur bedeuten: begegne den Menschen, sprich mit den Menschen, iss mit den Menschen, tanz mit den Menschen und trink mit den Menschen, denen wir begegnen. Gut gut, der Tanz ist etwas kurz gekommen. Den Rest bekommen wir hin, da sind wir schon geübt. Hicks!
In diesem Sinne: Hoch die Tassen!
Oder wie Egon sagen würde: „Nich lang schnacken, Kopf in Nacken!“
Wir wünschen Euch ein gutes, glückliches, gesundes Neues Jahr, in dem möglichst viele Eurer Pläne und Träume wahr werden.
Martin und Anke
