Wir sind keine Gentlemen! – Frohe Weihnachten!

Wir sind keine Gentlemen! – Frohe Weihnachten!

Aus viktorianischer Zeit stammt der Spruch „Gentlemen don´t sail windwards“. Gentlemen segeln nicht gegen den Wind. Von schlichtem Gemüt, wie ich, Martin, es nun mal bin, hatte ich das immer so verstanden, dass ein Gentleman mit seiner Lady an Bord natürlich alles Mannesmögliche unternimmt, um dieser die Segelei so angenehm und komfortabel wie möglich zu machen und daher jede Form der Amwind-Bolzerei vermeidet. Inzwischen habe ich mich etwas informiert und musste ernüchtert feststellen, dass diese Aussage den Umstand beschreibt, dass damalige Gentlemen in der Regel nicht arbeiten mussten, Zeit hatten, und es für sie daher keine Notwendigkeit gab, bei ungünstigen Bedingungen zu segeln. Sie warteten einfach ab, bis die Bedingungen passten. TO-Urgestein Bert Frisch würde sagen: „Geduldiger Skipper hat immer günstigen Wind.“ Und Damen an Bord, nun, die waren eh verpönt.
Anders stellte sich die Situation in alten Zeiten für arbeitende Skipper und Seeleute dar. Lotsenkutter, kleine Versorger, jedoch auch die Frachtsegler mussten in den damaligen Zeiten genau das tun – ihre Kapitäne und Skipper mussten unter welchen Bedingungen auch immer von A nach B kommen, und nicht selten gegen die vorherrschenden Winde und Strömungen. Und das konnte mehr als unangenehm sein.
(Info: Das beim Titelbild verwendete und bearbeitete Foto stammt aus folgender Quelle: https://www.theguardian.com/tv-and-radio/2015/jun/25/patrick-macnee)

Auch wenn wir endlich in Spanish Waters vor Anker liegen, ein letztes Mal nehmen wir die Gelegenheit wahr, an Melisas Freitagabend-Dinner auf der Werft teilzunehmen. Melisa, die gute Fee hinter dem Officetresen und Gastgeberin an jedem Freitagabend. Koch ist bei dieser Gelegenheit ihr Sohn Justin. Vier- oder fünfmal haben wir teilgenommen, und ein jedes Mal gab es andere, leckere Dinge. Wir hoffen, dass wir uns irgendwann einmal wiedersehen.
Eine Art vorweihnachtliches Ritual in der Curaçao Marine Zone ist offenbar jedes Jahr das Slippen des Ausflugsschiffes Mermaid. Man will gar nicht glauben, dass der Trailer, der u.a. Mago del Sur geslippt hat, in der Lage ist, auch diese gewaltige Mermaid zu bewegen. Dem Traktor wurde jedenfalls eine zweite Zugmaschine vorgespannt. Der Eigner der Mermaid spendiert bei der Gelegenheit Essen für die ganze Marina-Belegschaft und zudem eine Weihnachtsgratifikation für jeden Mitarbeiter. Entsprechend vollzählich treten die Mitarbeiter bei diesem Ereignis auf.
Mermaid ist draußen. Den Trailer kann man nur bei genauem Hinsehen weit vorne erkennen.
Bei Spanish Waters haben wir den Visbuoy entdeckt, den Fischhändler. Dahinter verbirgt sich ein geringfügig verstecktes Restaurant, dass eine nur sehr begrenzte Auswahl bietet, aber das eben ist Fisch vom Frischesten. Hier begehen wir den endgültigen Abschiedsabend mit Helena, Tim, Marc und Karin.

Nun ja. Vor uns liegt die Passage von Curaçao nach Puerto Rico. Das ist zweifellos eine ausschließliche Am-Wind-Strecke von knapp 400 Seemeilen, mithin alles andere als gentlemanlike. Und allen Wetterprognosen zum Trotz können sich die Bedingungen in den zu erwartenden zweieinhalb bis viereinhalb Tagen Dauer – je nach Eigenschaften des Bootes – im Laufe dieser Tage ändern. Das bedeutet, keinen Millimeter nachgeben, sondern von vornherein so hoch an den Wind gehen wie möglich, denn man weiß nicht, ob sich später jeder verschenkte Meter rächen wird. Und natürlich waren wir, was natürlich nichts anderes heißt, als ich, Martin, in diesem Punkt anfangs nicht konsequent genug.

Zugegeben, wir könnten als anständige Segler kreuzen, aber wir versprechen uns doch ein, zwei Stunden Gewinn, wenn wir dicht unter der Küste von Curaçao bis zur Ostspitze motoren. Wir „feilschen“ um jede Viertelstunde, da wir in Puerto Rico möglichst im Hellen ankommen wollen. Auch, da wir wie alle Segler zur Zeit, wegen der Spannungen zwischen Venezuela und den USA etwas sensibel sind. So erscheint uns die Annäherung an US-amerikanische Hoheitsgewässer im Hellen günstiger. Diese Etappe ist jedenfalls ein mühseliger Hack, auch als wir um die Oostpunt, die östlichste Spitze rum sind. Da verabschiedet uns Curaçao mit richtig rauer See. Was natürlich nicht fotografiert werden konnte, beispielsweise das komplett überflutete Vorschiff. Die Mistseen kooperierten einfach nicht mit den Fotografen. Hier ist jetzt Vorstellungskraft gefragt. Und – Fazit: Gentlemen sind hier nicht gefragt.
Um die Freude am Segeln kurz nach Oostpunt zu würzen, gab der elektrische Ausholer des Großsegels auf, als dieses noch nicht vollständig gesetzt war. Martin löst die blockierte Ausholleine und ersetzt diese durch eine manuell bedienbare Leine. So können wir das Groß weiter nutzen, allerdings nicht vollständig ausgerollt. Wir segeln folglich mit angezogener Handbremse. Die Crew der Zorba meinte seltsamerweise, wir wären an ihnen geradezu vorbei geflogen. Zugegeben, langsam waren wir zunächst nicht, Spitzen bis zu 10 Knoten über Grund sind schon was.
Martin ist mit der improvisierten Großsegelausholmöglichkeit zufrieden (Schönes Wort, gelle?)

Der erste Tag hatte auch schöne Seiten. Natürlich. So umgab uns einmal ein großer, fischender Booby-Schwarm. Und mit ihnen waren auch größere Fische auf Jagd. Zweimal tauchten neben Mago die Rückenflossen irgendwelcher in einem Schwarm jagender Fische auf. Delphine oder gar Haie waren es nicht. Eher eine Thunfischart.

Ankes Wache von 21:00 bis Mitternacht ist vorbei. Sie hat sich die Lotsenkoje im Durchgang zur Achterkabine für die drei Stunden Freiwache vorbereitet. Theoretisch ist die Lotsenkoje die hinsichtlich der Schiffsbewegungen ruhigste Koje an Bord.
Martin trägt mit Beginn seiner Wache die Mitternachtsposition mit einigen zusätzlichen Angaben in das Logbuch ein. Wir machen das noch ganz klassisch auf Papier. Aus gutem Grund: jede Elektronik kann ausfallen. Und wie der Teufel das will, etwa 10 Stunden später friert der Bildschirm, der hier vor Martin leuchtet, ein. Der Bord-PC nimmt keinerlei Befehle mehr an. Glücklicherweise hat Mago zwei unabhängige Systeme. Der Plotter (eine Art unabhängiger Karten- und Navigationscomputer) im Cockpit bleibt unbeeinflusst, und damit auch der unermüdlich steuernde Autopilot.
Die erste Nacht auf See ist vorbei.
Sonnenaufgang. Die Bedingungen haben sich in der Nacht beruhigt. Von jetzt an sollten wir mit einem Mittelwind von 15 Knoten und leicht abnehmender Tendenz gut vorankommen. Erfreulicherweise hatte der Wind auch viel länger eine leicht südlichere Tendenz als vorhergesagt, was uns zunächst gut unterstützt und erneut dazu verleitet, nicht konsequent so hoch wie möglich an den Wind zu gehen. Manche lernen´s halt nie.
Die Folge: Die gestrichelte Linie ist der Kurs über Grund, der uns zu unserem Ziel Salinas führen würde. Die blaue Linie ist der Kurs, der uns immerhin zum Städtchen Ponce führt. Wie man an dem roten Schiffchen sieht, sind wir allerdings auch über diese Linie nach Westen (nach links) hinaus abgekommen, Resultat des vorherrschend östlichen Windes und der westsetzenden Strömung. Im Moment der Aufnahme fällt der Wind deutlich südöstlicher ein, und wir versuchen, uns wieder an die blaue Linie heranzuarbeiten.
Bewegungsunscharf. Anke hat eine dicke Avocado zu einem Nachmittags-Snack verarbeitet.
Dritter Tag: Mittlerweile passt es mit Wind und Kurs. Wir rauschen Ponce auf Puerto Rico entgegen.
Der letzte Tag auf See. Wie so oft haben die Wolken schon auf die Insel hingewiesen, als deren Konturen noch gar nicht erkennbar waren. Nach einer kurzen Flaute – wir sind sogar drei Stunden motort – kam sogar noch mal reichlich Wind. Man sieht´s an der etwas eingerollten Genua.
Die Crew ist happy: Wir werden noch bei Tageslicht unser Ziel Ponce erreichen.

Gleich drei Flaggen übereinander für das Einlaufen in Ponce. Da Puerto Rico zu den USA gehört, muss natürlich ganz oben die US-Flagge wehen, gefolgt von der puertoricanischen Nationale. Die gelbe Flagge Q besagt, dass wir noch nicht einklariert sind und darf erst abgenommen werden, wenn die Einklarierung abgeschlossen ist. Später stellen wir fest, dass hier kein Mensch die US-Flagge setzt. Alle Gastsegler beschränken sich auf die puertoricanische Flagge. Aber man weiß ja nie und muss heute vorsichtig sein. Wäre ja blöd, wenn man einen diesbezüglich empfindlichen Beamten verprellen würde. Um es gleich zu sagen: Die Offiziellen hier waren superfreundlich, entgegenkommend und unkompliziert.

Die erste Fahrwassertonne gleitet vorbei.
Wahrscheinlich lässt die Müdigkeit Anke die Augenzukneifen. Auch sie freut sich über die bevorstehende Ankunft.
Glücklich und zufrieden vor Anker in Ponce. Wer zwischen uns hindurch peilt erkennt schwach ein paar graue Aufbauten. Ponce ist unter anderem ein Versorgungsstützpunkt der US-Marine. Die Aufbauten gehören zur USS Iwo Jima, einem Hubschrauberträger für amphibische Angriffsoperationen.
Am nächsten Morgen läuft die Iwo Jima aus. Mit größter Wahrscheinlichkeit zu einem Einsatz im Zusammenhang mit der Venezuela-Krise. Dafür kommen ein Versorger und eine Fregatte herein.
Aufbruch ins Ungewisse. Ungewisser wird die Zukunft allerdings eher für manche Menschen in Venezuela sein. Gentleman zu sein scheint nicht wirklich in der Natur des Menschen zu liegen. – Das sich nähernde Jahresende legt nahe, dass man sich an die weihnachtliche Botschaft „Friede auf Erden“ erinnert und denken muss, dass der Mensch den alten christlichen Botschaften doch bitte ein wenig mehr Gehör schenken sollte.
Am Tag drauf haben wir den Anmeldesteg verlassen und genießen vor Anker einen entspannten Sonnenuntergang mit friedlichem Handelsschiff.
Am nächsten Tagen werkele und hämmere ich hartnäckig an dem blockierten Großsegelausholantrieb. Die festsitzende Achse zwischen Umlenkgetriebe und Ausholerantrieb muss raus. Habe Anke versprochen, dass dies klappt. Man beachte meine verwegen kleidsame, geradezu eines Tarzan würdige Lendenschurzarbeitsjeansshorts.

Ein Geburtstagsgeschenk, das Anke sicher nicht vergessen wird. Ein erfülltes Versprechen. Ein Hoffnungszeichen für die Zukunft des Großsegelausholers. Man sieht, wie sehr sie sich freut. Ihr größter heutiger Wunsch ist erfüllt. In Ankes Rechter die Achse, die sich vergeblich geweigert hat, aus ihrem „Loch“ herauszukommen und der sogenannte Linetender in ihrer Linken. Die Scheibe, die die Leine bewegt, mit der man das Großsegel aus dem Mast herauszieht. (Seemännisch müsste ich statt Leine natürlich von einem Ende sprechen, aber das versteht ja an Land keiner, zumal so ein Ende zwei Tampen hat, was natürlich die Enden sind. Alles klar soweit?)

Ein erster Landausflug hat uns ein wenig ernüchtert. Die Marina und unser Ankerplatz liegen etwas abseits. Immerhin können wir Ankes Geburtstag in einer der Clubkneipen mit Corona und Empanadas begehen.
Gleich neben der Clubkneipe werden Pelikane gefüttert, was eine Attraktion vor allem für Kinder ist. Im Wasser haben Tarpune mitbekommen, dass hier gefüttert wird und warten darauf, dass hin und wieder etwas für sie abfällt. Tarpune sind eindrucksvolle Fische, die bis zu 1,50 m Körperlänge erreichen können. Hier handelt es sich natürlich um den Atlantischen Tarpun (Megalops atlanticus), eine aktuell als gefährdet eingestufte Art.
Abendhimmel über Ponce.
Nachdem die Einklarierung völlig problemlos und lediglich per App und Telefon erledigt ist, haben wir auch ein Crusing Permit erhalten und brechen schnell auf zur Isla Caja del Muertos. Übersetzt: der Sarginsel. Da wir nach Osten müssen, die vorherrschenden Winde allerdings aus Osten kommen, lautet die Empfehlung, mit frühestem Tagesanbruch zu starten, also wenn die Dämmerung so gegen 6 Uhr soeben beginnt und möglichst drei Stunden später – spätestens – eine geschützte Bucht, Insel oder was auch immer erreicht zu haben. Anke wartet darauf, dass die Sonne hinter den Wolken emporsteigt.
Da ist sie, die Sonne.
Um 9 Uhr, also ungewöhnlich früh, ist der Anker vor der Insel gefallen.

Anke taucht den Anker ab. Der sitzt perfekt auf solidem Sandgrund. Wir werden hier zwei Nächte bleiben. Das klare Wasser lädt dazu ein, den Wassermacher gehörig laufen zu lassen.

Leider herrscht heftiger Schwell. Am Ankerplatz ist das gar nicht so zu merken, aber der Schwell macht das Anlanden auf der Insel unmöglich, so dass wir sie zu unserem Bedauern nicht betreten.

Mit dem vielen frisch produzierten Süßwasser putzt Anke das Deck und Martin macht sich daran, die Solarpanele von einer dünnen, doch störenden Salzschicht zu befreien.
So sieht die Insel aus der Drohnenperspektive aus. Gerne hätten wir den Leuchtturm besichtigt. Doch wie gesagt, es war nicht möglich, an Land zu gehen. (Quelle bzw. Bildautor: Tomer Anonymos)

Genug der Reisebeschreibung, kommen wir zum heutigen und wichtigsten Anliegen dieses Blogbeitrags. Es geht nicht um klassische Gentlemen, es geht um das bevorstehende Weihnachtsfest, dem in diesen unruhigen Tagen vielleicht eine besondere Aufmerksamkeit gezollt werden sollte.

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